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Alles was du wuenschst - Erzaehlungen

Titel: Alles was du wuenschst - Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Enright
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wer der Junge war oder ob er gleich ins Wasser fallen würde. Sie wusste nicht, ob sie dies irgendwann einmal gesehen hatte oder ob sie es in Zukunft irgendwann einmal sehen würde. Es war ein Traum oder etwas aus dem Fernsehen. Sie glaubte, dass es mit dem Blackwater zu tun hatte, aber vermutlich handelte es sich nicht einmal um einen irischen Fluss. In Irland schwammen Knaben nicht splitternackt.
    Della wusste, dass im Fluss nichts Wichtiges dahintrieb – ein Geschlinge aus Zweigen und Blättern oder ein anders geformter Stock. Der Junge langte nur zum Vergnügen hin; um zu sehen, ob er es konnte.

    Sie glaubte, es handelte sich vielleicht um Russland, so schwarz war der Fluss, und die Bäume waren Birken. Oder vielleicht erinnerten die Knabenkörper sie ja auch nur an Birken, die wirkten immer so frisch und hoffnungsvoll. Aber die Jungen wirkten auch traurig, dachte sie, wie auf einem Foto, das vor einem großen Krieg aufgenommen wurde.
     
    Der Mann nebenan war dabei zu erblinden, schien es aber nicht zu bemerken. Della hatte das Gefühl, es ihm sagen zu müssen, selbst wenn sie das eigentlich gar nichts anging. Seit mehr als fünfzig Jahren wohnten sie Tür an Tür, hatten sich aber nie so recht verstanden. Della hatte seine Frau gemocht, aber die war schon lange tot, und gesprächig war er noch nie gewesen. Außerdem behandelte er Kinder auf eine Weise, die Della missfallen hatte, als sie noch ihre eigenen großzog. Ihre fünf und seine zwei, alle schon aus dem Haus.
    Ihre kamen wenigstens hin und wieder zu Besuch – seine ließen sich nie blicken -, allerdings lebten sie weit verstreut, und Della, die über lange Zeiträume sich selbst überlassen blieb, war anfällig für Vergesslichkeit und Gedanken an Birken und nackte Knaben, die sie überhaupt nicht kannte. Manchmal hörte sie Kratz- oder Klopfgeräusche nebenan – was trieb der da drinnen bloß?. Ein andermal war es so still, dass sie es sich notierte: »16. April – kein Mucks.« Sie versuchte, den Überblick zu bewahren, für den Fall, dass er verstorben war. Trotz der Tatsache, dass sie manchmal nicht wusste, welches Jahr es war, um die Wahrheit zu sagen.

    Sie schob die Notizzettel hinter die Uhr auf dem Kaminsims. Durch diese Wand kamen die Geräusche, aus seiner Küche, die das Gegenstück zu ihrer war. Ein häusliches Scharren, gelegentlich auch ein Klappern oder Scheppern. Man könnte annehmen, so wie sie es manchmal tat, dass er da drinnen etwas Sonderbares trieb, aber wer hätte schon das wirklich Sonderbare daran erraten können: dass er überhaupt nicht sehen konnte, was er trieb.
    Es dauerte Monate, bis sie begriff. Sie begegnete ihm vor dem Zeitungsladen – es mochte ein Freitag im Februar gewesen sein -, und er versäumte es, sie zu grüßen. Da fiel ihr ein, dass er auch das letzte Mal ohne ein Kopfnicken oder ein Handzeichen an ihr vorübergegangen war. Entweder hatte sie ihn verärgert, oder etwas anderes stimmte nicht. Allerdings war er schon immer eine so lästige Person gewesen, dass es Frühling wurde, ehe ihr Gewissen sie plagte und sie schließlich »Hallo, Tom« sagte, und zwar mit einer so lauten Stimme, dass es schon fast sarkastisch klang.
    Er zuckte zusammen und sah sich um.
    »Della?«, fragte er, und da schon hätte sie auf den Gedanken kommen können, dass seine Augen nicht mehr mitmachten, hätte unter seinem Arm nicht die Tageszeitung geklemmt. Außerdem spürte sie an der Art, wie er ihren Namen aussprach, dass er vertrauter mit ihr war, als ihr lieb war, dort drüben hinter ihrer Backsteinwand.
    Dann, an einem Tag im April, sah sie die für die Müllabfuhr zu einem Bündel geschnürten Zeitungen, und mitten in der Nacht beschlich sie ein seltsames Gefühl
deswegen, und sie erwachte: von der Tatsache, dass die Zeitungen nicht aufgeschlagen, geschweige denn gelesen worden waren und dass der Mann von nebenan, ob er es wusste oder nicht, blind war.
    Es gab nichts Schlimmeres, als all dies zu wissen. Falls es nur sein Verstand wäre, der nachließ, würde er wenigstens von einem Augenblick auf den anderen vergessen, wie elend er dran war. Doch die Geräusche hinter der Wand waren nicht das unbestimmte Gescharre eines alten Mannes. Offenbar suchte er etwas, hatte aber nie Erfolg damit. Sie musste an ihn denken, wie er in dem zunehmenden Dreck herumstöberte, dabei hatte sie nicht einmal seine Telefonnummer, um ihn anzurufen. Und selbst wenn sie sie gehabt oder die Nummer eines seiner Kinder im Telefonbuch nachgeschlagen

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