Alles, was er wollte: Roman (German Edition)
die Haustür war offen.
Ich stieg aus dem Ford und ging bis zur Türschwelle. Zaghaft spähte ich ins Innere des Hauses. Ich rief Etnas Namen. Stille antwortete mir. Mein Blick flog über den Fußboden, ein paar Staubflusen, sonst nichts. Ich sah zum Leuchter hinauf, diesem Ungetüm aus weißem Eisen, seine Birnen waren alle unversehrt. Ich trat ins Haus. Abgesehen von der abgestandenen Luft, die sich trotz der offenen Tür nicht verflüchtigt hatte, und einer Düsternis, verursacht durch die zugezogenen Vorhänge, war im Haus alles so wie damals, als ich es gegen Ende des Frühjahrs abgesperrt hatte. (Ich war nicht auf den Gedanken gekommen, daß Etna einen Zweitschlüssel behalten hätte.)
Ich zog die Vorhänge auf und öffnete die Läden, damit Licht und Luft in den muffigen Raum strömen konnten. Ich sah mich überall um, weil ich sichergehen wollte, daß Etna nicht vielleicht doch hier war und sich nur nicht zeigen wollte. Ich ging auch nach oben, um im Mansardenzimmer nachzusehen, aber ich mußte sofort wieder hinunter, dort oben bekam man kaum Luft.
»Etna!« rief ich noch einmal.
Ich prüfte das Inventar des Häuschens, aber abgesehen von Etnas Schreibzeug schien nichts zu fehlen. Meine Kopfschmerzen machten sich wieder heftig bemerkbar, und ich stützte mich an den Apothekerschrank. Meine Hand fegte über die Vorderseite der blechernen Kuchendose. Das Türchen sprang auf, und dahinter schoß ein Stapel blauer, weißer und lavendelfarbener Briefumschläge hervor, die zu Boden fielen. Ich hob sie auf und sah mir die Adressen an.
Mrs. Etna Van Tassel, Holyoke Street, Thrupp, New Hampshire
Mr. Phillip Asher, Hotel Thrupp
Mrs. Etna Van Tassel, Exeter, New Hampshire
Mr. Phillip Asher, 14 Gill Street
Ich sank auf den harten Stuhl mit der steifen Lehne. Nach einer Weile legte ich die Briefe auf den Tisch und ordnete sie chronologisch. (Nicholas Van Tassel muß Briefe selbstverständlich in der richtigen Reihenfolge lesen.) Ich las sie alle einmal durch und dann noch einmal. Ich legte sie zu einem ordentlichen Stapel aufeinander.
Etna und Phillip Asher, meine Frau und der Mann aus Yale, hatten ihre Briefe miteinander vereint – eine Vereinigung, die, so schien es, dauerhafter war als meine Ehe.
Ich warf den Kopf zurück und heulte auf. Es war ein heiserer, unheimlicher Schrei, der jeden vernünftigen Menschen erschreckt hätte.
Meine Frau war hier gewesen und wieder gegangen. Ich begriff, daß sie nicht zurückkommen würde. Sie hatte den Riegel ihres Käfigs geöffnet und sich befreit.
Sie hatte sich von mir befreit.
Was in Feuer begonnen hatte, sollte auch in Feuer enden, beschloß ich. War es ein Versuch der Katharsis oder lediglich das Resultat lebenslanger Beschäftigung mit Metaphorik? Ich weiß es nicht. Aber eines weiß ich: Ein Feuer zu legen ist schwieriger, als man denkt. Nachdem ich im Herd Feuer gemacht hatte, hielt ich, da es mir an Einfallsreichtum mangelte, einfach ein Geschirrtuch darüber und hoffte, es werde Feuer fangen. Aber jedesmal, wenn eine Flamme sich entzündete, starb sie gleich wieder, erstickte in dem von der hohen Luftfeuchtigkeit klammen Tuch. Aber schließlich gelang es mir mit viel Wedeln und Pusten, eine anständige Flamme anzufachen, und ich legte das Tuch unter einem Vorhang nieder.
Ich nahm die Kuchendose samt Inhalt an mich, dann noch, aus einem unklaren Impuls heraus, die Schneiderbüste. Ich hatte keine Verwendung für sie, aber nach Etnas Körpermaßen geformt, war sie so etwas wie ein Geist meiner Frau. Ich packte die Sachen in den Wagen. Dann stieg ich ein, nun schon in Eile, legte den Rückwärtsgang ein und lenkte den Ford die Auffahrt hinaus zur Straße. Ich wagte kaum hinzusehen, wie zuerst ein Vorhang und dann ein Stück Mauer sich orangerot färbten. Als ich zum Ende der Auffahrt kam und nach Thrupp abbiegen wollte, sah ich, wie eine Feuerzunge durch die offene Tür hinausschnellte, dann folgte ein ungeheurer Knall, und das ganze Haus ging in Flammen auf. Es war ein unerhörter Anblick. So ein Feuer ist eine Pracht.
Der Brand wütete, die Hitze war selbst am Ende der Auffahrt noch beeindruckend. Und während ich die Feuersbrunst beobachtete, kam mir ein ganz neuer Gedanke, der mich zutiefst faszinierte: Wenn Etna Bliss sich von mir befreit hatte, war dann nicht auch ich frei?
Die Vorstellung war umwerfend. Ich begann, sie näher zu betrachten, und verspürte die vorsichtige Erleichterung, die sich meldet, wenn man entdeckt, daß eine Tragödie auch
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