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Alles, was er wollte: Roman (German Edition)

Alles, was er wollte: Roman (German Edition)

Titel: Alles, was er wollte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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und wurde zu Beginn des vorigen Jahrhunderts von Stadtvätern erbaut, die ursprünglich ein Priesterseminar gründen wollten, sich später aber mit einer kleinen Enklave geisteswissenschaftlicher Forschung und klassischer Bildung begnügten. Zwar gab es für die Verwaltung einen imposanten Bau im georgianischen Stil, doch war er umgeben von allzu vielen düsteren Backsteingebäuden mit kleinen Fenstern und Türmchen an den merkwürdigsten Stellen, wie das für den wohl scheußlichsten amerikanischen Baustil, die viktorianische Neogotik, kennzeichnend war. Mehrere dieser Gebäude umschlossen den viereckigen Hof; die übrigen uferten in die Straßen eines Städtchens aus, das beinahe ganz im Schatten des College stand. Aber da das College Wert darauf legte, das typische Flair des neuenglischen Dorfs zu bewahren, hatte man die im Kolonialstil erbauten Holzschindelhäuser in der Wheelock Street zu Wohnungen für die höherrangigen Dozenten der verschiedenen Fakultäten umfunktioniert. Draußen am Ortsrand, noch vor den Granithügeln, lagen die Bauernhöfe: landwirtschaftliche Betriebe, deren Eigentümer seit Generationen mit dem ausgemergelten felsigen Boden kämpften, um ihm ein mageres Auskommen abzuringen.
    Wir Entkommenen, vom Glück Begünstigten, standen im Zentrum dieser kleinen Welt, noch viel zu benommen, um unter der Einwirkung der Kälte und des Schnees, der unsere Schuhe durchnäßte, zu frösteln. Viele Menschen starrten mit zusammengekniffenen Augen in die Flammen oder wichen, die Arme über die Augen gelegt, taumelnd vor der Hitze zurück. Ich selbst schob mich in meiner Verwirrung ziellos durch das Gedränge und kam gar nicht auf den Gedanken, einfach über das Karree zur Woram Hall zu gehen, wo ich mich in mein Bett hätte verkriechen können. So geschah es, daß mein Blick mitten im Durcheinander auf eine Frau fiel, die an einem Lampenpfosten stand.
    Ich gehöre zu den Männern, die, wenn sie einer Frau begegnen, zuerst ihr Gesicht mustern, dann die Taille (diese sanften Rundungen, die so sehr Jugend und Vitalität signalisieren), schließlich das Haar, um innerhalb eines Wimpernschlags seinen Glanz und seine Länge zu beurteilen. Ich weiß, es gibt Männer, bei denen es genau umgekehrt ist, und andere, die unweigerlich zuerst auf das Mieder eines Kleids schauen und dann auf einen Schimmer Bein hoffen. Doch diese Frau konnte ich nicht auf so klinische Art zergliedern, weil ich gebannt war von ihrer ganzen Erscheinung.
    Ich will nicht sagen reizlos , denn wer von uns ist in der Jugend schon ohne Reiz? Aber ich kann auch nicht sagen reizvoll ; ihr Gesicht und ihre äußere Erscheinung zeichneten sich durch eine Frische der Farben und eine Kraft der Züge aus, die keinen Gedanken an Zartheit und Lenksamkeit aufkommen ließen, zwei Eigenschaften, die für mich bisher eine Voraussetzung weiblicher Schönheit waren. Zudem war sie übermäßig groß, und das kann ja bei Frauen abschreckend wirken. Doch es ging eine Ruhe von ihr aus, die unbestreitbar faszinierend war; und wenn ich heute, in diesem ratternden Eisenbahnabteil, die Augen schließe, kann ich mich mühelos mehr als drei Jahrzehnte zurückversetzen und ihre reglose Gestalt inmitten der beinahe hysterischen Menge vor mir sehen. Und ebenso – wie damals, als ich mich der Stelle näherte, wo sie unter der Laterne stand – das Goldbraun ihrer Augen, zu dem ihr topasfarbenes Kleid die perfekte Ergänzung bildete (wobei dies übrigens ein Geschick Etnas war, in dem niemand sie übertraf: Kleidung und Schmuck genau auf die besondere Eigenart ihrer Reize abzustimmen).
    Sie hatte mandelförmige Augen und dichte dunkelbraune Wimpern. Ihre Nasenflügel und ihre Wangenknochen waren stark ausgeprägt, als flösse fremdländisches Blut in ihren Adern, und ich stellte mir vor, daß ihr das nußbraune Haar in gelöstem Zustand bis zur Taille herabfallen würde. Sie hielt ein Kind in den Armen, und ich glaubte, es wäre das ihre. Mein Verlangen nach dieser Unbekannten flammte augenblicklich mit einer solchen unangemessenen Heftigkeit auf, daß es mich erschreckte; ich habe mich oft gefragt, ob dieses qualvolle Begehren, dieses Feuer im Leib, dieser heiße Wunsch zu berühren, nicht einfach eine Folge der erregenden Umstände des Feuers waren? Wäre ich ebenso hingerissen gewesen, wenn ich Etna Bliss im Speisesaal gesehen hätte? Hätte ich mich nach ihr umgedreht, hätte ich sie überhaupt bemerkt, wenn sie hinter mir an einer Straßenecke gestanden hätte? Und

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