Alles Wurst
du suchst. Ich kenne ihn. Der Mann, der deine Mama begrapscht hat. Willst du wissen, wer er ist?«
»Du lügst. Woher solltest du ihn kennen?«
»Das ist nicht die Frage, Jan. Sondern: Willst du das wirklich wissen?«
»Nein, ich will es nicht wissen«, gibt Jan zurück. Aber dann bleibt er doch stehen. »Also sag schon: Wer ist er?«
44
Münster ist die Stadt, in der europaweit die meisten Radfahrer radeln, mehr als in Düsseldorf, Wuppertal und Krefeld zusammen, aber nachgewiesenermaßen sind sie auch am schlechtesten ausgebildet. Neue Umfragen ergaben, dass über sechzig Prozent der Münsteraner Radfahrer eine Bremse für eine lästige Stechfliege halten und es ausreichend finden, ihr Fahrzeug mithilfe der Fußsohlen zum Stehen zu bringen. Ebenso viele gehen davon aus, dass Ampeln ein buntes Extra sind, an Verkehrsknotenpunkten zu Unterhaltungszwecken installiert, und über achtzig Prozent sind der Überzeugung, dass Verkehrsregeln einen illegalen Eingriff in die Privatsphäre eines Zweiradlers darstellen. In einer PISA-Studie zum Bildungsstand von Radfahrern landeten die Münsteraner weit abgeschlagen hinter denen aus Lima/Peru auf dem siebenundsechzigsten Platz. Ein Tatbestand, der den städtischen Verkehrsplanern sicher zu denken gegeben hätte, wenn diese nicht in einer anderen Studie noch viel weiter unten rangiert hätten.
Einer dieser schlecht ausgebildeten bremsenlosen Radler hatte mich gestern Nacht unsanft gestoppt, kurz bevor ich das Geheimnis von Lauras Traum hatte lüften und dafür sorgen können, dass alles zwischen uns wieder gut werden würde. Jetzt waren die Schatten der Nacht verflogen und mit ihnen jenes Phantom mit der Bierflasche, das mich auf dem Prinzipalmarkt angesprochen hatte. Und ich war auf dem Weg, mich mit einem Mann zu unterhalten, den Defries als den Mutanten bezeichnet hatte.
Rainer Zucker wohnte in Mecklenbeck, einem Stadtteil, den man nur insofern abwechslungsreich nennen konnte, als sich langweilige, eintönige Reihenhauszeilen mit Gewerbegebieten, die man als Zumutung empfinden musste, abwechselten.
Zucker wohnte am grünen Rand in einer Erdgeschosswohnung mit Panoramablick auf die Weseler-Straße.
Es war sonntags gegen zehn, als ich bei ihm klingelte. Zucker öffnete mir in einem lila Bademantel, der mit schwarzen Tierkreiszeichen bedruckt war.
»Haben Sie Brötchen mitgebracht?«, fragte er, als ich eintrat.
»Es liegt mir fern, Sie vom Frühstück abzuhalten.«
»Na, dann kommen Sie mal mit.«
Wir gingen in den Garten, der aus einem winzigen steinernen Quadrat bestand. Er verfügte über einen Gartengrill, einen Plastiktisch und zwei Stühle. Zucker nahm mir gegenüber Platz, setzte eine Sonnenbrille auf und schlug die Beine übereinander. »Was kann ich für Sie tun, Herr Voss?«
Ich reichte ihm ein Blatt Papier. Er las.
Nachwort
Schluss damit. Ich habe genug von Jan dem Rächer. Den Roman werde ich später fertigstellen.
Und was die albernen Festspiele angeht: Macht eure Show allein. Ich weiß jetzt alles. Der Wurstmischer hat mich aufgeklärt. Mein Vater ist nicht mein Vater, sondern der andere, den ich nicht leiden kann. Und jetzt weiß ich, wie dieser Mann heißt. Das ändert die Sache.
Also werde ich mich vorerst nicht weiter mit Comics abgeben.
Jan van Leiden Ende. Over and out.
»Sie wissen, von wem das ist?«
Zucker nickte. »Jens hatte sich in den Kopf gesetzt, einen Comicroman zu schreiben. Haben Sie seine Zeichnungen gesehen? Der Mann ist gar nicht übel. Ich bin fest davon überzeugt, dass er einer der Großen der Comicliteratur werden wird.«
»Eine kurze Zeit war ich davon überzeugt, dass er die Morde begangen hat.«
Mein Gegenüber schmunzelte amüsiert. »Keine Sorge, Jan der Rächer existiert nur in Jens’ schräger Fantasie. Eine Figur, mit der er seine Probleme auf drastischere Weise angehen kann, als es ihm in der Wirklichkeit möglich ist.«
»Aber jetzt ist mir klar, dass er sich irrt. Er denkt nur, es wäre alles Fantasie, dabei passiert es in Wirklichkeit.«
»Ich fürchte, ich kann Ihnen nicht folgen.«
»Defries hat für Frau Nebel den Superman gespielt. Sie wollte ihn als Aushängeschild für ihre Stadtmarketingkampagne. Und Professor Haberland benutzte ihn als Stein des Anstoßes, um seinen ungeliebten Kollegen zu zeigen, was man mit empirischer Theologie so alles anstellen kann.«
Zucker nickte. »Und jetzt sind Sie hier, um zu erfahren, wofür ich mich seiner bedient
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