Alles Wurst
Flasche und verdrückte sich in Richtung Domplatz.
Nach ein paar Sekunden suffbedingten Dösens wachte ich plötzlich auf. »Heh!«, rief ich dem Kerl nach. »Defries, bleiben Sie stehen!«
Ich lief los, überquerte den Prinzipalmarkt und rannte auf den Dom zu. Aber ich kam nicht weit. Da war ein schabendes Geräusch, ich kollidierte mit etwas Hartem und knallte auf das Kopfsteinpflaster.
Jemand hob mich auf. »Heh, Blindfisch, hast du keine Augen im Kopf?«
»Haben Sie den Mann gesehen? Dieser Typ, das ist Jan van Leiden.«
»Scheiße, Sie hat’s aber ordentlich erwischt …«
Nach Hause zurückgekehrt, landete ich schon wieder auf dem Boden, sobald ich die Wohnung betrat. Dieses Mal war Kittels Krempel, der im Flur mitten im Weg stand, daran schuld. Fluchend rappelte ich mich auf, packte seine Reisetasche, den alten Rucksack und die Pappkartons und stopfte sie in die Besenkammer neben der Küche. Einer der Pappkartons war zu alt und gebrechlich, um sich von mir tragen zu lassen. Beim Hochheben ergoss er seinen Inhalt auf den Teppich. Es war Kleinkram: Zettel mit Notizen, uralte Korrespondenz, vergilbte Fotos, Plastikbecher, Büroklammern. Ich kehrte das Zeug zusammen und füllte es in einen Müllsack. Dann holte ich eines der Teile wieder heraus. Es war ein gepolsterter Umschlag ohne Adresse, der genauso aussah wie der, den ich schon dutzendmal gesucht hatte und, wie ich ertasten konnte, ein Heft oder eine Broschüre enthielt. Jens Defries hatte ihn mir anvertraut, damals, als ich ihn zum ersten und zum letzten Mal gesehen hatte.
Ich öffnete den Umschlag und holte einen Stapel Seiten heraus. Die meisten waren voll von den verrückten Zeichnungen, die den seltsam mittelalterlichen Superman in Aktion zeigten. Einige enthielten auch Text.
Tod und Täufer – ein Comicroman von J. Defries, erster Entwurf, stand auf der ersten Seite.
Kapitel 6: Die Offenbarung
Verrat! Jan der Rächer hätte sich niemals mit dem Mutanten einlassen sollen. Rächer sind Einzelgänger so wie Zorro oder Spider-Man. Außerdem hat sich herausgestellt, dass der Mutant niemand anderer ist als der Satan persönlich.
Das hätte sich gar nicht herausgestellt, wäre er nicht zufällig auf die Idee gekommen, den vermeintlichen Freund an seiner Wirkungsstätte aufzusuchen, um ihn zu überraschen.
»Welch netter Besuch«, sagt der Mann mit den großen Ohren freundlich, wie immer lächelnd. Aber dieses Mal hat er einen weißen Kittel an, auf dem rote Spritzer sind. Blutspritzer. »Komm nur herein und fühl dich wie zu Hause.«
Jan sieht sich um. Und es dauert eine geraume Weile, bis er sich auf das, was er sieht, einen Reim machen kann. Eine triefende blutige Masse kriecht schwerfällig wie Lava ein langes Band entlang. Sie dampft und der Geruch ist ekelerregend. »Aber das da ist doch nicht etwa Wurst, oder?«, fragt Jan besorgt.
»Noch nicht, mein Guter«, antwortet der Mutant und setzt ein seltsam schiefes Lächeln auf, das obszön wie ein grelles Band zwischen seinen großen Lauschern aufgespannt ist. Er reibt sich die Hände, die in Gummihandschuhen stecken – es quietscht. »Aber schon bald wird es Wurst sein.«
»Aber wie kannst du so etwas nur tun? Ich hatte dich für einen vegetarisch gesinnten Menschen gehalten.«
»Vegetarisch gesinnt – was für ein Humbug!«, spottet der Mann in Weiß und es ist plötzlich so, als habe er sich selbst eine Maske vom Gesicht gerissen. »Wie dämlich bist du eigentlich? Wurst ist das einzige Nahrungsmittel, das diesen Planeten ernähren kann, und ich bin derjenige, dem es gegeben ist, sie zu gestalten. Skulpturen daraus zu schaffen, die man ansehen und bestaunen kann. Ja, man kann sie sogar essen …«
Jan weiß eigentlich, dass er dem Kerl diese Frechheit nicht durchgehen lassen kann. Was er sieht, ist schlimmer als das Essen in der Kantine. Es ist die Hölle selbst. Die blutgetränkte, drückende Luft nimmt ihm den Atem. Er bringt kein Wort heraus und starrt den bösen Zauberlehrling an und sein Werk, die übel riechende, schleimige Masse. Und wie in einer Vision sieht er alle Geschöpfe auf diesem Planeten in dieser Masse waten, bis zu den Knien reicht ihnen das Gebräu.
Eine Weltuntergangsvision in der Tat. Jan will sein Sendschwert zücken, aber er hat weiche Knie. Nichts wie weg, denkt er und ergreift die Flucht.
»Heh, warte!«, ruft der Blutbespritzte ihm nach. »Ich könnte dir vielleicht helfen.«
Jan aber dreht sich nicht einmal um.
»Dieser Mann, den
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