0779 - Der Nebelwolf
Der Sumpf, das Gelände im Nebel, die geheimnisvolle, sich bewegende, schmatzende, gluckernde Insel mit ihren gewaltigen Ausmaßen, den flachen Grasebenen, den kleinen Hügeln mit den verkrüppelten Bäumen darauf, den winterlich braunen Gewächsen, die wieder einmal starben oder langsam dahinsiechten.
Der ewige Tod der Natur, die sich im Sommer trotzdem wieder erholte und wie ein Zombie aus dem Verfall und der Fäulnis hervorstieg, um an manchen Stellen zu erblühen.
Ich aber wanderte hinter Hoss Ivory her. Durch eine Traurigkeit, die sensible Gemüter depressiv machen konnte. Ich gehörte zu den Menschen, die nicht sensibel waren – wenigstens nicht, was diese Landschaft anging –, aber ich hätte mir meine Zeit auch anders vertreiben können, als an diesem frühen Nachmittag durch den Sumpf zu stiefeln, um angeblich einem Geheimnis auf die Spur zu kommen.
Die Temperatur lag zwischen fünf und zehn Grad über dem Gefrierpunkt. Nasskalt war es. Hinzu kam der Westwind, der gegen unsere Gestalten blies und von meiner dicken Lederjacke von der Haut des Körpers ferngehalten wurde.
Da die Stiefel nicht gefüttert waren, hatte ich kalte Füße gekriegt.
Die Hände waren auch nicht viel wärmer.
Etwas anderes war wichtiger, und das genau wollte mir Hoss Ivory zeigen. Ich vertraute diesem wuchtigen Mann, der sich im und am Sumpf auskannte. Von Beruf war er Gärtner. Ihm gehörte eine Gärtnerei, außerdem eine Reparaturwerkstatt sowie ein kleiner Schrotthandel. Er hatte Torf abgebaut und galt in dieser Gegend als ein Mann, der sich in allen Sätteln zurechtfand.
Er hatte auch schon für zwei Jahre in London gelebt, bevor er wieder in seine Heimat zurückgekehrt war, undin London hatte er einiges von mir gehört. Das lag schon Jahre zurück, es war damals ein Fall gewesen, der mich nach Dartmoor geführt hatte, und zu weit von diesem alten Zuchthaus waren wir nicht entfernt.
Der Sumpf war tot.
Dunst wehte über ihn hinweg. Wenn ich beim Gehen in die Schwaden hineinschaute, hatte ich den Eindruck, als würden sich die abgestorbenen Bäume und Pflanzen bewegen und nicht die Schwaden, die lautlos zwischen ihnen hertrieben.
Es roch faulig. Nach Verwesung, nach Moder und Tod. Ivory hatte von einer Insel gesprochen, die wir erreichen wollten. Ein Gebiet, das etwas erhöht lag, wo der Ausblick gut war, und ich endlich das Geheimnis kennen lernen sollte.
Wir hielten uns auf dem Weg. Teilweise war er durch Bretter und Bohlen verstärkt worden. Oft war das Holz unter fauligen Blättern verschwunden, sodass sich vor unseren Füßen eine glatte Fläche ausbreitete. Immer wieder musste ich darauf achten, nicht auszurutschen, denn wenn ich in die glatte und trügerische Fläche rechts und links des Wegs hineinglitt, konnte dies verdammt unangenehm werden.
Ivory ging gebückt. Ich sah seinen breiten Rücken. Er hatte seine Jacke nicht geschlossen, die beiden offenen Hälften pendelten in Hüfthöhe hin und her. Er war ein Mann, der in diese Gegend hineinpasste, man konnte ihn auch als den King ansehen, weil er einigen Menschen Arbeit gab und immer zu denen gehörte, bei dem sich die Leute Rat holten, wenn es um Probleme ging, für die Pfarrer oder Lehrer nicht zuständig waren.
Der Weg sollte dort enden, wo der kleine Hügel begann. Man hatte ihm auch einen Spitznamen gegeben, der Ort wurde der Buckel genannt. Er gehörte zu den sicheren Plätzen des ansonsten ziemlich gefährlichen Sumpfgebietes.
Dabei sah es oft genug harmlos aus. Ich hatte nicht nur einmal meinen Blick über die glatte Fläche rechts und links des Wegs schweifen lassen, und für mich war nicht erkennbar gewesen, ob ich über eine Grasfläche schaute, die völlig normal war, oder ob der Untergrund aus tückischem Schlamm bestand.
Ivory drehte sich zu mir um. Er grinste. In den Augen las ich funkelnden Spott, als er fragte: »Können Sie noch, John?«
»Keine Sorge, Hoss. Ich bin wie eine Sumpfpflanze. Unverwüstbar und sehr biegsam.«
Er lachte. »Das muss man hier auch sein. Wer hier überleben will, muss der Natur ein Schnippchen schlagen.«
»Schaffen wir doch!«
»Dann ist es gut.«
»Wann sind wir denn beim Buckel?«
»Ich denke, dass wir nicht mehr als zehn Minuten zu laufen haben. Wenn wieder die Bohlen beginnen, können Sie schon aufatmen. Sie reichen bis dicht an das Ziel heran.«
»Wunderbar.«
Wir setzten unseren Weg fort. Ich versank oft genug bis über die Knöchel im weichen Boden, bei dem ich das Gefühl hatte, er würde ständig
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