Allmen und die Dahlien (German Edition)
hatte.
»Sie hat Dr. Hubers auf den Vormittag vorverlegt, danach wollte sie einkaufen gehen. Auf ihrem Handy meldet sie sich nicht. Und Frau Dr. Huber sagt, sie sei kurz nach dreizehn Uhr gegangen.«
Allmen war in die Goldenbar zum Apéro gegangen und hatte danach ein Gastspiel der Wiener Philharmoniker besucht, auf das er sich schon seit Wochen gefreut hatte. Anschließend hatte er mit ein paar Bekannten im Promenade ein spätes Abendessen zu sich genommen.
Als er das Vestibül des Gärtnerhauses betrat, kam Carlos die Treppe herunter. Er war angekleidet, und Allmen sah ihm an, dass er gehofft hatte, es sei María.
Er hatte noch immer nichts von ihr gehört. Niemand, den sie kannte, hatte von ihr gehört.
Allmen schlug vor, noch einen Nightcap zu trinken, und bat Carlos, ihm Gesellschaft zu leisten. Der brachte ihm einen Armagnac. Er selbst nahm einen seiner stundenlang warmgehaltenen Filterkaffees.
»Hatten Sie Streit, Carlos?«
» No, Don John«, versicherte Carlos. Aber dann fügte er hinzu: »Streit kann man es nicht nennen.« Es klang fast ein wenig hoffnungsvoll.
»Eine Meinungsverschiedenheit?« Davon gab es viele im Alltag des Paares. Der überkorrekte, introvertierte Carlos und die überschwengliche, lebenshungrige María waren oft verschiedener Meinung.
» Sí, Don John, eine Meinungsverschiedenheit. Aber nichts, weswegen sie davonlaufen würde. Sonst hätte sie schon oft davonlaufen können.«
»Das kann man nie sagen, Carlos. Sie wissen ja, wie unberechenbar Frauen sein können. Die gleiche Sache, die sie zehnmal unberührt lässt, bringt sie beim elften Mal in Rage.«
Das war eine weitere weibliche Eigenschaft, die Carlos nicht vertraut war, aber er nahm sie dankbar zur Kenntnis. Sie suchten noch ein wenig nach Beispielen aus dem Alltag mit María und nach solchen aus Allmens Erfahrungsschatz mit dem weiblichen Geschlecht. Dann wünschten sie sich gute Nacht.
Aber es wurde keine gute Nacht. Immer wieder erwachte Allmen von Carlos’ Schritten über ihm. Etwas, was ihn noch nie gestört hatte. Und als auch noch Wind aufkam, schlief er nur noch in kurzen Etappen. Jetzt lag er im Bett und wartete, bis Carlos ihm den early morning tea brachte.
Am liebsten wäre er aufgestanden und hätte ihn gefragt, ob es etwas Neues gebe. Aber wenn er das täte und es gäbe keine Neuigkeiten, würde er Carlos noch nervöser machen.
Als er ihm endlich den Tee brachte, sah Allmen sofort, dass es keine guten Nachrichten gab.
»¿Sin novedad?«, fragte er. Ohne Neuigkeiten?
»Sin«, antwortete Carlos und ging wortlos wieder hinaus.
Allmen ließ den Tee stehen, ging ins Bad und zog sich an. Carlos trug nicht wie sonst um diese Zeit seine Gartenarbeitskleider. Er war aber auch nicht als Hausdiener gekleidet, sondern steckte in einem von Allmens auf seine Größe umgeschneiderten Anzügen. Als würde er jederzeit damit rechnen, aus dem Haus gehen zu müssen.
»¿La policía?«, fragte Allmen vorsichtig. Er wusste, dass Carlos es nur im äußersten Fall tun würde. Papierlose Männer melden ihre papierlosen Frauen nicht so schnell als vermisst.
Aber aus Carlos’ Reaktion war ersichtlich, dass er diese Möglichkeit ins Auge fasste. Er zuckte mit den Schultern und sagte: »Tal vez.«
Allmen versuchte, noch etwas Zeit zu gewinnen. »Wenn wir bis Mittag nichts gehört haben, rufe ich an.«
Er schlug Carlos vor, seiner Arbeit nachzugehen, dann vergehe die Zeit schneller. Aber der lehnte ab. Er wolle in der Nähe des Telefons bleiben.
Der Wind hatte sich gelegt, und nun begannen schwarze Wolken, den Himmel zu verdunkeln und den Tag zum Abend zu machen. Die Stimmung in dem kleinen Gärtnerhaus wurde noch gedrückter.
Beide taten, als beschäftigten sie sich. Carlos räumte einen Küchenschrank aus und reinigte ihn mit warmem Seifenwasser. Allmen saß an seinem Sekretär und schrieb mit dem Füller einen Brief an einen alten kanadischen Studienkollegen, mit dem er manchmal noch in dieser altmodischen Form korrespondierte.
Zweimal schreckte das Telefon sie aus ihren vorgetäuschten Beschäftigungen. Einmal war es ein Telefonverkäufer für eine Versicherung, ein anderes Mal Allmens englischer Schneider mit einem Terminvorschlag für eine Anprobe.
Gegen Mittag hatten sie noch immer nichts gehört.
» Una sugerencia, nada más, Don John.«
»Diga.«
»Wir rufen die Krankenhäuser an. Erst wenn wir bei denen keinen Erfolg haben, melden wir María als vermisst.«
Carlos musste diese Maßnahme schon länger in
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