Allmen und die Dahlien (German Edition)
Erster Teil
1
Es war einer dieser Morgen, an denen er die Krawatte dreimal binden musste, bis die Längen stimmten.
Allmen hatte schlecht geschlafen. Er hatte sich von der langweiligen Eröffnungsfeier eines plüschigen Clubs abgesetzt und war mit ein paar anderen Abtrünnigen in der Goldenbar und anschließend im Blauen Heinrich hängengeblieben. Als er endlich im Bett lag, war er kurz nach dem Einschlafen durch eine nächtliche Skype-Konferenz von María Moreno mit Kolumbien wieder wach geworden.
Auch Carlos konferierte häufig mit seiner Familie in Guatemala, aber er tat dies immer diskret. Bei María dagegen klang es im hellhörigen Gärtnerhaus, als hätte sie das Zimmer voller kolumbianischer Partygäste.
Gleich nach dem erfolgreichen Abschluss des Falles »Rosa Diamant« wollte er María Moreno fest anstellen. Es schien ihm nur logisch. Geld war jetzt vorhanden, Allmen liebte Personal, und Carlos liebte María Moreno.
Aber er hatte wieder einmal nicht mit dessen Knauserigkeit gerechnet. Auch jetzt, wo Carlos’ Bankguthaben das seines patrón bei weitem überstieg, drehte er jeden Rappen um. Er hatte sich geweigert, Allmens Angebot anzunehmen, ihn statt Teilzeit gegen Kost und Logis voll zu beschäftigen, und zwar mit einem guten Gehalt. Er zog es vor, halbtags als Gärtner und Hauswart bei K, C, L & D Treuhand weiterzuarbeiten, der Firma, die die Villa Schwarzacker gekauft und Allmen das Gärtnerhaus auf Lebzeiten überlassen hatte. »Nunca se sabe«, hatte er gesagt, man könne nie wissen. Allmen wusste sehr wohl, was gemeint war: Man könne nie wissen, wann Don John wieder pleite sein würde. Und wie sich bald herausstellte, war dieser Fall schon beinahe eingetroffen.
Auch die Festanstellung seiner María hatte er hintertrieben. Er riet ihr, weiterhin im Stundenlohn zu arbeiten und ihre übrige Kundschaft bei der Stange zu halten. Nunca se sabe.
Was ihre Wohnsituation anging, war Carlos weniger strikt. Der Einzug von María Moreno war in Etappen erfolgt. Zuerst waren es gelegentliche Damenbesuche bei Carlos, die Allmen als Mann von Welt selbstverständlich tolerierte. Wenn auch ein wenig peinlich berührt, denn María Moreno war nicht nur bei ihren Videokonferenzen mit Kolumbien laut. Bald blieb sie das Wochenende über, was ihn nicht weiter störte, denn sie war ein erfreulicher Anblick. Auch als Carlos bei ihm vorsprach und auf seine umständliche Art erklärte, dass María vorübergehend ohne Wohnung sei, hatte er nichts dagegen einzuwenden gehabt, dass sie eine Zeitlang bei ihnen im Gärtnerhaus Unterschlupf fand. Und als sie Carlos eines Abends plötzlich im schwarzen Kleid mit weißem Schürzchen beim Servieren assistierte, wusste Allmen, dass er den Moment zum Eingreifen verpasst hatte. Von nun an beherbergte er zwei illegale Einwanderer. Nicht nur » por mientras «, also provisorisch, wie Carlos sagte.
Allmen zog seinen doppelten Windsorknoten fest und warf einen letzten Blick in den Vergrößerungsspiegel. Der Alaunstift, mit dem er das Blut des Rasierschnitts über dem rechten Mundwinkel gestillt hatte, hatte eine weiße Spur hinterlassen, die er jetzt mit einem angefeuchteten Waschlappen vorsichtig entfernte.
Er schlüpfte in sein Jackett und betrat das kleine, übermöblierte Wohnzimmer. Vor einem der sechs Art-déco-Stühle des Esstischs war für eine Person gedeckt. Es roch nach Kaffee und Toast. Noch ehe sich Allmen gesetzt hatte, kam María Moreno aus der Küche.
» Muy buenos días, Señor John.« María war eine unabhängige Frau und hatte sich von Carlos nicht dazu überreden lassen, Allmen mit dem altmodischen »Don John« anzureden.
» Muy buenos días, María«, antwortete er und setzte sich. Sie schenkte ihm Kaffee ein und ging zurück in die Küche, um sein Ei zuzubereiten.
María Moreno arbeitete nur an den Nachmittagen in anderen Privathaushalten. Vormittags stand sie im Gärtnerhaus für Haushaltsarbeiten und Einkäufe zur Verfügung. Das brachte ein paar entscheidende Verbesserungen von Allmens Lebensqualität mit sich. Zum Beispiel in der Frühstücksfrage.
Früher brachte ihm Carlos um sieben einen early morning tea ans Bett und ging dann seiner Tätigkeit nach. Allmen, der kein Frühaufsteher war, begab sich zwischen zehn und elf zu einem späten Frühstück ins Viennois. Das tat er zwar nach Möglichkeit noch immer, aber die Gründung von Allmen International Inquiries (»The Art of Tracing Art«) zwang ihn bisweilen zu einem etwas geregelteren Tagesablauf. Es
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