Alptraum-Sommer
ich es vor Schreck losgelassen, statt dessen lockerte ich nur den Griff.
Das Zischen verstummte.
Wer war dieses unbekannte Ding? Es war leider zu dunkel, um Einzelheiten zu erkennen, aber die Haut war nicht glatt, das hatte ich schon längst fühlen können.
Ein Mund war also vorhanden.
Gab es auch Augen, eine Nase? Vielleicht irgendwelche Hände oder Füße, die noch nicht zu sehen waren.
Allmählich hatte ich mich auch an den geheimnisvollen Fund gewöhnt und begann, über ihn nachzudenken. Dabei brauchten sich meine Schlußfolgerungen nur um ein bestimmtes Gebiet zu drehen, das in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der magischen Seite der Natur stand und damit auch mit Mandragoro.
Er war ein Dämon. Er war so etwas wie ein magischer Umweltschützer, ein Grüner aus metaphysischen Tiefen, und er war ein Wesen, der es im Prinzip gut mit der Welt meinte. Wir hätten auf seiner Seite stehen können. Daß wir es nicht so richtig taten, lag allein an den Methoden, die er anwendete.
Ich will es mal kurz fassen. Er ging nicht gerade gesetzlich vor. Wir aber waren an die bestehenden Gesetze gebunden, wir konnten keine Rache nehmen, mußten uns an Richtlinien halten, was ich im allgemeinen auch gut fand.
Mandragoro nicht.
Er tat das, was er für richtig hielt, und das endete oft genug mit dem Tod bestimmter Personen, die sich zu seinen Feinden gezählt hatten. Es gab da genügend Beispiele, die ich hätte anführen können.
Und Mandragoro war nicht allein, obgleich man ihn zu den Einzelgängern hätte zählen können. Wenn er jedoch etwas befahl, gab es genügend Helfer, die ihm gehorchten. Mittlerweile war ich davon überzeugt, daß auch dieses kleine Wesen zu seinen Freunden gehörte.
Bisher hatte ich mich zu sehr mit Mandragoro beschäftigt. Es war besser, wenn ich mich auf meinen Fund konzentrierte. Die kleine Lampe trug ich nicht bei mir, so mußte ich meine Sitzhaltung ein wenig verändern, um das Licht der Laterne gegen die Gestalt fließen lassen zu können.
Wichtig war zunächst nicht die Form des Körpers, sondern das Material.
Ich hatte in der Zwischenzeit genug tasten und fühlen können, um mir ein Bild zu machen.
Dieses Wesen bestand aus einer Wurzel. Aus Wurzelholz, und genau dafür gab es einen bestimmten Namen.
Alraune!
Oder auch Alraunwurzel genannt, abgeleitet aus dem gotischen Runa, das soviel wie Geheimnis bedeutet. Die Alraune ist praktisch der puppenbalgähnliche fleischige Wurzelstock der im klassischen Altertum als Zaubermittel und Amulett gebrauchten Pflanze Mandragora. Also setzte man Alraune gleich mit Mandragora, nicht mit Mandragoro. Selbst in den Texten des Moses kam die Alraune schon vor. Jahrhundertelang hatte sie ihre magische Wunderkraft behalten, und die Menschen hatten sich ihr schließlich angenommen. Man gab ihr eine zumeist männliche Gestalt und verschiedene Namen. Erdgeist, Wichtelmännchen, Galgenmännchen, und im deutschen Altertum wurden sie sogar als Hausgötter betrachtet und in geheimen Verstecken verborgen. Oft prächtig gekleidet und am Samstag in Weingeist oder Wasser gebadet, damit die Alraune auch bei Laune blieb und dem Hausbesitzer Reichtum, Gesundheit und Glück brachte.
Ich zweifelte nicht mehr daran, daß ich eine Alraune in der Hand hielt.
Nur unterschied sie sich von den Alraunen, die in der Literatur und Mystik erwähnt wurden.
Diese hier lebte. Und weil dem so war, mußte hinter ihr ein mächtiger Geist stecken.
Mein ›Freund‹ Mandragoro!
Warum hatte er das getan? Wie gefährlich war das kleine Ding? Welche Kräfte hielten es zusammen?
Bisher hatte ich nur einen Mund entdecken können, auch der war blitzschnell entstanden. Ansonsten verschwanden seine Umrisse in der rissigen Haut der Wurzel. Mit der linken Hand hielt ich die Alraune fest.
Mit der rechten tastete ich nach.
Die Fingerkuppe fuhr über den Körper, der gleichzeitig auch ein Gesicht war.
Ich spürte die rissige Haut. Ebensogut hätte ich auch Baumrinde betasten können, es wäre auf das gleiche hinausgelaufen. Noch immer kam mir der Körper unverhältnismäßig warm vor. Ich ließ mich davon vielleicht zu stark ablenken, denn plötzlich öffnete sich der Mund des Wesens und klappte sofort wieder zu. Dabei hatte er sich noch gedreht und nach meinem Finger geschnappt.
Im allerletzten Moment hatte ich ihn zurückgezogen. Die hellen, spitzen Zähne erwischten mich nicht. Sie hackten ins Leere. Dann drehte sich die Alraune in meiner Hand, die nicht mehr so fest geschlossen
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