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Als gaebe es kein Gestern

Als gaebe es kein Gestern

Titel: Als gaebe es kein Gestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirsten Winkelmann
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entgeistert an. „Wie haben Sie die so schnell gezählt?“
    „Ich muss nicht zählen. Ich sehe die Menge“, antwortete Arvin schlicht.
    „Stimmt etwas nicht?“, fragte die Dame, die ihr Bett in der Nähe der Tür hatte.
    „Das wissen wir nicht“, antwortete Arvin.
    Schwester Barkfrede öffnete jetzt das Fenster, lehnte sich weit hinaus und versuchte herauszufinden, was die Leute irgendwo oberhalb ihrer eigenen Position so faszinierend fanden. Arvin hatte derweil das zweifelhafte Vergnügen, ihren etwas ausladenden Hintern zu betrachten. Schließlich gab sie es auf, ihren Hals zu verrenken, und zog ihren Oberkörper leicht keuchend ins Zimmer zurück. „Brennen tut es jedenfalls nicht“, sagte sie ein wenig ratlos. Dann verschloss sie das Fenster wieder. „Vielleicht ist es besser, wenn ich mal nachsehe. Soweit ich das erkennen kann, ist kein Klinikpersonal da draußen.“
    „Ich komme mit“, beschloss Arvin.
    Und so dauerte es nicht lange, bis er auf Wegen, die er nie und nimmer allein gefunden hätte, zu einer Nebeneingangstür gelangt war. Da Schwester Barkfrede zu diesem Zeitpunkt schon ziemlich außer Atem war, öffnete Arvin die Glastür als Erster. Draußen schlug ihm kühle, aber äußerst klare und angenehme Luft entgegen. Außerdem schien die Sonne. Der April gehörte eben doch schon zum Frühling. Arvin hatte jedoch nur Augen und Ohren für die Menschen auf dem Rasen. Er spürte sofort, dass sich die Aufregung verstärkt hatte.
    Gleich darauf kreischte eine Frauenstimme entsetzt auf.
    Eine andere Stimme rief: „Hilfe! Warum tut denn niemand etwas?“
    „Wo bleibt denn die Polizei?“
    Arvin begann zu laufen und näherte sich der Gruppe. Hinter sich hörte er das Keuchen der Krankenschwester. Noch im Laufen sah er sich zum Gebäude um – und blieb vor Entsetzen so plötzlich stehen, dass Frau Barkfrede ungebremst in seine Seite lief. Arvin taumelte und fing sich wieder. Schwester Barkfrede ging es ähnlich, doch stöhnte sie vor Schmerz laut auf und entlud schon im nächsten Moment ihren ganzen Ärger über Arvin. „Sind Sie verrückt, so einfach stehen zu bleiben?“, fuhr sie ihn an. „Ich hab mir alle Rippen geprellt!“
    „Gibt es einen Zugang zum Dach?“, fragte Arvin. Deutliche Panik schwang in seiner Stimme mit.
    Aber Schwester Barkfrede hatte im Moment kein Ohr für solche Details. „Wie bitte?“, keifte sie. „Ich glaube, Sie haben mich nicht richtig verstanden! Ich verlange eine Entschuldigung!“
    Arvin sagte kein Wort. Seine Miene war grimmig, aber auch entschlossen. Ohne zu zögern nahm er Schwester Barkfredes Gesicht zwischen seine Hände, drehte es Richtung Gebäude und dann ein Stück nach oben. Entsetzt keuchte sie auf. „Ist sie das etwa?“
    „Sieht so aus. Gibt es jetzt einen Zugang oder nicht?“
    „Sicher … klar … kommen Sie!“ Und mit diesen Worten setzte sie sich erneut in Bewegung und rannte mit ihren kurzen Beinen zurück zum Gebäude.
    Arvin folgte ihr nicht gleich. Er starrte noch einen Moment auf die Gestalt, die dort oben auf dem Flachdach des Gebäudes zu sehen war. Die kleine, schlanke Silhouette, die dunklen Haare, die im Wind umhertanzten, das alles ließ den Schluss zu, dass Livia dort oben stand. Aber sie war zu weit weg, als dass er irgendwelche Details erkennen konnte. Abgesehen davon hätte er gar nicht gewusst, woran er sie sonst noch hätte erkennen können. Er wusste nicht, womit sie bekleidet war. Und ihr Gesicht war noch immer zum Teil bandagiert …
    Jetzt ging ein Raunen durch die Menge.
    Die Gestalt war noch näher an den Rand des Daches herangetreten und starrte wie hypnotisiert nach unten.
    Arvin hielt die Luft an. Wenn jetzt eine kräftige Böe kam …
    „Muss sie erst fallen?“, schrie jemand zu ihm herüber.
    Die Stimme der Krankenschwester riss ihn aus seinem Schockzustand. Er startete wie bei einem Hundertmeterlauf, holte sie ein und hetzte mit ihr auf das Gebäude zu. Allerdings stellte sich jetzt schnell heraus, dass Schwester Barkfrede genauso unsportlich war, wie ihre Figur dies hatte vermuten lassen. Schon als sie das Gebäude erreichten, war sie so fertig, dass sie kaum noch vorwärtskam. Aber Arvin gönnte ihr keine Verschnaufpause. Er packte sie am Arm und schob sie vorwärts, immer in die Richtung, die sie ihm bedeutete.
    Kurz darauf standen sie in einem Fahrstuhl und fuhren nach oben.
    „Ich hab keine Ahnung, wie sie dahin gekommen ist“, jammerte Schwester Barkfrede und schnaufte dabei wie ein Taucher, der es

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