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Als gaebe es kein Gestern

Als gaebe es kein Gestern

Titel: Als gaebe es kein Gestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirsten Winkelmann
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nicht. Er sah traurig und verloren aus.
    „Du bist es ihr schuldig“, mahnte Karen und verlor sich nun ihrerseits in der rotbraunen Blätterpracht, die unten in dem kleinen Park von rechts nach links und von links nach rechts gewirbelt wurde. Sie schauderte ein wenig. Es war nicht schwer, sich die herbstlichen Temperaturen vorzustellen und gedanklich mit diesem kräftigen Wind zu kombinieren.
    Jetzt endlich öffnete Arvin den Mund. „Ich kann nicht“, krächzte er heiser. Und dann seufzte er so tief, als wäre er selbst Patient in diesem Krankenhaus. „Verstehst du das?“
    „Es ist ein Wunder, dass sie überlebt hat“, sagte Karen und dachte an das bandagierte Etwas zurück, das sie in jenem Bett zurückgelassen hatte. Nichts, aber auch gar nichts daran erinnerte sie noch an die lebenslustige Livia. „Das ist wie ein Zeichen!“
    Arvin wandte sich ruckartig zu ihr um. „Unsinn!“, entfuhr es ihm. „Es ist wie eine Strafe!“ Aber als er es ausgesprochen hatte, stöhnte er auch schon auf und drehte sich wieder weg. Im nächsten Moment rammte er seine geballte Faust mit voller Wucht auf die Fensterbank vor ihm.
    „Für wen?“, fragte Karen leise.
    Arvin brauchte eine ganze Zeit, bis er sich halbwegs wieder gefangen hatte. „Auch für sie!“, gelang es ihm schließlich zu antworten. Seine Stimme war tief und hatte einen vollen, voluminösen Klang. „Ich hab mit den Ärzten gesprochen. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie wieder die Alte wird, ist mehr als gering. Wenn es nur das Schädel-Hirn-Trauma wäre … Aber du hast die Fotos gesehen. Rechts war ihr halber Kopf eingedrückt. Vielleicht kann sie nicht mehr sprechen. Oder nicht mehr laufen! Oder gar nichts mehr!“
    Karen schluckte schwer. Sie war eine hübsche Frau von Anfang dreißig, mit langen rötlich-braunen Haaren und einer guten Figur. Wieder dachte sie an das, was sie eben zu Gesicht bekommen hatte. Verbände, die über den gesamten Kopf verteilt waren und nur die Augenpartie, die Nase, eine Wange und einen Teil des Mundes freigelassen hatten. Strähnige dunkle Haare, die an wenigen Stellen unter dem Verband hervorkrochen. Geschwollene Lider, geschwollene Lippen, eine bläulich aufgeblähte Nase, aus der Schläuche kamen … Sie schauderte. „Sie röchelt nur“, flüsterte Karen gequält.
    „Siehst du! Und das soll ein Zeichen sein?“
    „Gott macht keine Fehler“, behauptete Karen.
    „Dann erklär mir bitte, was das hier soll!“, brach es aus Arvin hervor. „Es war auch vorher schon schwer genug. Aber das hier …“ Seine Stimme schien in einem Meer von Schmerz unterzugehen. „Das hier schaff ich nicht.“
    Karen schlang ihre Arme von hinten um seine Brust und drückte sich an ihn. „Ich helfe dir ja“, sagte sie leise.

Kapitel 2
    Drei Wochen später hatte sich ihr Zustand ein wenig gebessert. Mittlerweile konnte sie Gesichter erkennen – auch wenn sie nicht wirklich scharf zu stellen waren. An den Umrissen, am Geruch und am Klang der jeweiligen Stimmen konnte sie Personen unterscheiden, doch wusste sie weder, in welcher Eigenschaft diese Personen bei ihr waren, noch wie diese hießen oder was sie von ihr wollten. Natürlich spürte sie, dass die meisten es gut mit ihr meinten. Aber es war furchtbar, nicht mit ihnen kommunizieren zu können. Auch wenn sie sich noch so sehr bemühte, konnte sie nur unverständliche Laute von sich geben. Und umgekehrt war es nicht besser. Was die Personen sagten, verstand sie nicht. Es hatte nur vom Klang her eine Bedeutung für sie. War die Stimme sanft und freundlich, dann ging es ihr gut, wirkte sie hektisch oder gar verärgert, dann fürchtete sie sich.
    Der Besuch, den sie jeden Tag am meisten herbeisehnte, hatte die sanfteste und melodischste von allen Stimmen, war umhüllt von einem herrlichen Duft wie von Blumen und hatte ein Gesicht, das von langen rötlich-braunen Haaren umrahmt war.
    Sie kam jeden Tag in etwa um die gleiche Zeit. Jeden. Meistens war sie allein, manchmal hatte sie eine zweite Person dabei. Diese war sehr groß und kräftig, mit dunklen Haaren und diesem schwarzen Ding im Gesicht. Aber sie redete nicht und war deshalb uninteressant. Nein, es war die Frau, die ihre ganze Hoffnung verkörperte. Indem sie einfach da war … sie fütterte … streichelte … und für sie sang …
    ❧
    „Karen“, sagte sie und begann zu strahlen, soweit ihre gespannte Gesichtshaut dies zuließ. Sie merkte selbst, dass der Name aus ihrem Mund noch ein wenig befremdlich klang, aber Karen

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