Als ich vom Himmel fiel
zuständig. Da fielen mir die tollsten Sachen ein: Eine große Eidechse taufte ich Krokodeckchen, und meine drei Steißhühner nannte ich Piups, Polsterchen und Kastanienäuglein. Ursprünglich stammen diese Tiere aus einer magischen Landschaft. Sie heißt Lomas de Lachay und ist ein Feuchtluftwüstengebiet an der Pazifikküste. Durch Teile von Peru zieht sich eine äußerst trockene Wüste, die Atacama. Weil draußen im Meer der kalte Humboldtstrom vorbeifließt, bildet sich eine dichte Nebeldecke, Garúa genannt, die an bestimmten Stellen, an denen sie an die Andenabhänge stößt, für eine erstaunlich üppige Vegetation sorgt. Mitten in der Wüste trifft man deshalb an diesen Orten auf farbenprächtige Pflanzeninseln. Meine Eltern haben mich ein paar Mal dorthin mitgenommen. Diese blühende Oase mitten im Einerlei der braunen Wüste erschien mir bei jedem Besuch als ein echtes Wunder. Und dort kamen unsere Steißhühner her.
Außerdem lebte ein bunter Papagei namens Tobias bei uns, den ich, noch ehe ich sprechen lernte, »Bio« nannte. Bio war schon vor meiner Geburt im Haus und konnte mich anfangs nicht leiden, denn er war eifersüchtig. Näherte ich mich ihm als Kleinkind, voller Begeisterung »Bio, Bio« rufend, dann hackte er nach mir, bis er mich schließlich notgedrungen akzeptierte. Tobias war ein sehr kluger Papagei, der es gar nicht mochte, wenn sein Käfig verschmutzt war. Musste er mal, gab er ein bestimmtes Geräusch von sich. Das war für uns das Zeichen, Tobias aus dem Käfig zu nehmen und zur Toilette zu bringen. Ja, zur richtigen Menschentoilette! Wir hielten ihn über die Schüssel, un d – plump s – machte er sein Geschäft. Als Tobias eines Tages einen Herzanfall erlitt, kurierte ihn meine Mutter mit italienischem Cinzano. Der kurbelte seinen Kreislauf an, und wen wundert’s: Von diesem Tag an war er Fan dieses Aperitifs. Wann immer Gäste kamen, watschelte Tobias daher und wollte ebenfalls sein Schlückchen haben.
In einem Brief an eine Freundin in Deutschland schrieb meine Mutter von meiner großen Begeisterung für den Urwald, als sie mich zum ersten Mal an den Río Pachitea, der später für mein Leben so wichtig werden sollte, mitnahmen. Damals war ich erst fünf Jahre alt:
»Sie findet sich erstaunlich gut mit jeder Situation zurecht, zum Beispiel im Zelt oder im Schlafsack auf der Gummimatratze am Strand oder auf einem Boot schlafen, das sind für sie alles interessante Dinge. Und Du musst Dir die Stimmung auf dem Río Pachitea vorstellen: der dämmerige Morgen oder Abend mit dichtem Nebel, mit den Rufen der Brüllaffen, der Fluss silbrig-grün, dicht am Boot die hohe Mauer des dunklen Urwalds, aus dem das vielstimmige Konzert der Grillen und Zikaden heraustönt, man hat das Gefühl, sich wirklich noch in der Urnatur zu befinden. Juliane war wohl am meisten von den blühenden Bäumen begeistert und von der Vielfalt und Formenschönheit der Blätter, sie hat sich schon ein Herbar angeleg t …«
Als ich neun Jahre alt war, besuchte uns der belgische Tierfänger Charles Cordier mit Frau und Menagerie. Cordier wurde von bekannten zoologischen Gärten auf der ganzen Welt beauftragt, Exemplare bestimmter Tierarten einzufangen. Er besaß einen überaus intelligenten Graupapagei namens Kazuco, der konnte so hervorragend sprechen, wie ich es danach nie wieder bei einem Papagei erlebte. Es gab auch noch die Boxerhündin Böcki und die Eule Skadi, die nachts im Badezimmer herumfliegen durfte. Monsieur Cordier ließ dafür extra Mäuse frei, damit die Eule sie fangen konnte. Manchmal schlug sie auch Papis Rasierpinsel, weil der so ähnlich aussah. Kazuco, der Graupapagei aus dem Kongo, begrüßte einen morgens mit »Good morning« und abends mit »Good evening«. Ich war überaus fasziniert von dem schlauen Kerlchen, der auch »Böcki, sitz!« sagen konnte, worauf sich die Boxerhündin tatsächlich hinsetzte. Kazuco fasste Geräusche und Sätze unglaublich schnell auf, und während der Tage im Humboldt-Haus lernte er zu sagen: »Lima has two million people.« Ich streichelte so gerne sein prächtiges grau schattiertes Federkleid, da biss er mich einmal kräftig in den Finge r – ich habe noch heute eine Narbe davon. Leider starb unser Tobias im selben Jahr an einer Lungenentzündung.
Ich selbst wurde im Jahr darauf schwer kran k – und das ausgerechnet in den großen Ferien! Ich bekam Scharlach, was meine Eltern sehr alarmierte, denn die jüngste Schwester meines Vaters war im selben
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