Als ich vom Himmel fiel
gefürchtet, aber niemals vor dem Urwald. Er konnte nichts dafür, dass ich in ihm gelandet war. Die Natur ist immer gleich, ob wir da sind oder nicht, es kümmert sie nicht. Wir abe r – auch das habe ich während jener elf Tage am eigenen Leib erfahre n – können ohne sie nicht überleben.
Das alles ist für mich Grund genug, die Erhaltung dieses einzigartigen Ökosystems zu meiner zentralen Lebensaufgabe zu machen. Meine Eltern hinterließen mir mit Panguana ein Erbe, das ich aus ganzem Herzen angenommen habe. Und heute führe ich dort ihr Werk in eine entscheidende Phase: Panguana, größer denn je, soll zum Naturschutzgebiet erklärt werden. Damit erfüllt sich nicht nur der Lebenstraum meines Vaters, für den er jahrzehntelang gekämpft hat, sondern wir leisten so auch einen wertvollen Beitrag zur Erhaltung des Amazonas-Regenwalds, nicht zuletzt, um der globalen Klimakatastrophe entgegenzuwirken. Der Regenwald steckt nicht nur voller Wunder, von denen wir die meisten noch nicht einmal kennen. Seine Erhaltung als grüne Lunge der Erde ist auch entscheidend für den Fortbestand einer äußerst jungen Spezies auf diesem Planeten: des Menschen.
2011 jährt sich die Flugzeugkatastrophe von 1971 zum vierzigsten Mal. In all diesen Jahren wurde viel über meinen »Unfall«, wie ich den Absturz nenne, geschrieben. Unzählige Zeitungsseiten wurden mit dem gefüllt, was die Menschen für »Julianes Geschichte« halten. Darunter waren mitunter gute Beiträge, aber leider auch viele, die wenig mit der Wahrheit zu tun hatten. Es gab eine Zeit, als mich die Aufmerksamkeit der Medien fast erdrückte. Um mich zu schützen, habe ich jahrelang geschwiegen, habe ich jedes Interview abgelehnt und mich ganz zurückgezogen. Nun aber ist es an der Zeit, mein Schweigen zu brechen und zu erzählen, wie es wirklich war. Deshalb sitze ich jetzt am Flughafen München auf gepackten Koffern, um eine Reise anzutreten, die für mich aus zwei Gründen wichtig sein wird: um das Ziel zu erreichen, das Naturschutzgebiet Panguana zu errichten. Und um mich meiner Vergangenheit zu stellen. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft werden so sinnvoll zusammengeführt. Das, was mir damals zustieß, und die Frage, warum ausgerechnet ich als Einzige die Katastrophe der LANSA überleben durft e – all das erhält nun endlich eine tiefere Bedeutung.
Und dann sitze ich im Flugzeug. Ja, die Menschen wundern sich sehr, wie ich es schaffe, immer wieder in Flugzeuge zu steigen. Ich schaffe es durch Willenskraft und Disziplin. Ich schaffe es, weil ich es schaffen muss, will ich in den Dschungel zurückkehren. Doch es ist schwer. Das Flugzeug rollt an, wir heben ab, wir steigen auf, wir tauchen tief ein in die dichte Wolkendecke am Himmel über München. Ich sehe aus dem Fenster, und auf einmal sehe ic h …
2 Eine Kindheit unter Tieren
Kapitelanfang
… diese schwarzen, undurchdringlichen Wolken und zuckende Blitze. Wir sind in ein schweres Gewitter geraten, und der Pilot fliegt geradewegs in diesen Hexenkessel hinein. Das Flugzeug wird zum Spielball des Orkans. Aus Ablagen fallen Gepäckstücke und weihnachtlich verpackte Geschenke auf uns herab, Blumen und Spielsachen. Das Flugzeug stürzt unvermittelt in tiefe Luftlöcher und steigt dann rasant wieder an. Die Menschen kreischen vor Angst. Und plötzlich ist da dieser grelle Blitz über dem rechten Flugzeugflüge l …
Ich atme tief durch. Über mir erlischt das Zeichen, ich kann meinen Gurt lösen. Wir sind kurz hinter München, und unser Flugzeug hat seine reguläre Flughöhe erreicht. Nach einer Zwischenlandung in Madrid werden mein Mann und ich die Maschine nach Lima besteigen. Zwölf Stunden liegen dann noch vor mir, zwölf Stunden höchster Anspannung rund zehn Kilometer über der Erde. Über Portugal werden wir dann das Festland hinter uns lassen und den Atlantik überqueren.
Will ich zurück in das Land, in dem ich geboren wurde, bleibt mir keine andere Wahl. Auch im Zeitalter des Billigflugs ist eine Reise um den halben Globus kein Kinderspiel. Ich wechsle nicht nur den Kontinent, ich wechsle auch die Zeitzone, das Klima und die Jahreszeit. Ist bei uns Frühling, bricht in Peru der Herbst an. Und selbst innerhalb Perus erlebe ich zwei verschiedene Klimazonen: die gemäßigte in Lima und die tropische im Regenwald. Vor allem aber ist es jedes Mal für mich eine Reise in die Vergangenheit, denn in Peru kam ich zur Welt, in Peru wuchs ich auf, und in Peru geschah jenes Ereignis, das mein Leben von
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