Als unser Kunde tot umfiel
Flurbereinigung, was einen guten Teil der Stellen anging.
Pünktlich auf die Minute öffnete sich die Tür und ein Herr im grauen Nadelstreif trat ein. Der Kunde. Herr Huber. „Guten Morgen, die Herren!“, begrüßte er uns zackig. Kerniger Handschlag, rotes Gesicht über strammem Krawattenknoten. Na, der steht auch ordentlich unter Strom, dachte ich. Er setzte sich an seinen Platz, überflog die Unterlagen und meinte gleich: „Gefällt mir. Auf den ersten Blick jedenfalls. Dann legen Sie mal los!“ Wir gaben alles. Wir waren richtig gut. Herr Huber schien zufrieden. Die Kennzahlen gefielen ihm, sorgfältig eingestreute Anekdoten brachten ihn zum Schmunzeln. Am Whiteboard liefen mein Team und ich zur Hochform auf. Plötzlich wurde mir bewusst, dass Herr Huber schon eine ganze Weile nichts mehr gesagt hatte. Ich schaute genauer hin und traute meinen Augen nicht – der war weggeknackt! Selig schlummernd saß Huber im Drehstuhl, Kinn auf der Brust und die Hände friedlich über dem runden Bauch gefaltet. Das war ja wirklich ein starkes Stück! Ich lieferte hier die Präsentation meines Lebens und der Typ pennte! „Herr Huber?“ Keine Reaktion. Ich trat zu ihm und legte ihm vorsichtig eine Hand auf die Schulter. „Herr Huber, alles ok? Wollen Sie eine Pause machen?“ Statt aufzuwachen rutschte Herr Huber im Zeitlupentempo vom Stuhl und landete sacht auf dem Boden.
Wir versuchten jede Sofortmaßnahme, die uns einfiel – auf die Schulter klopfen, kaltes Wasser ins Gesicht spritzen, heftiges Schütteln – keine Reaktion. Panik machte sich breit. Herzmassage. Wie ging das noch einmal? Unbeholfen kniete ich neben Herrn Huber auf dem Boden und drückte ihm zuerst zaghaft, dann immer verzweifelter auf den Brustkorb. Es half alles nichts. Vor uns lag, in stabiler Seitenlage, der tote Herr Huber und blickte mit leeren Augen auf die Auslegeware.
Palluch vs. Hinrichsen – Was im Krisenfall zählt
Palluch: Was für ein Drama!
Hinrichsen: Ja, das war furchtbar! Ich war fassungslos und wusste im ersten Augenblick überhaupt nicht, wie ich reagieren sollte. Auf einen solchen Fall hatte mich niemand vorbereitet, in meinen schlimmsten Träumen hatte ich mir so etwas nicht vorstellen können. In meinem Kopf ging es zu wie in einem Karussell. Was mir erst im Nachhinein richtig klar geworden ist: Meine Gedanken drehten sich um mich und nicht um den armen Herrn Huber. Im allerersten Moment hätte ich am liebsten einfach einen gefunden, der die Verantwortung für das weitere Vorgehen übernimmt. Ich wollte einfach nur raus aus der Situation.
P: Und dann?
H: Als ich endlich mit meinem Selbstmitleid fertig war, habe ich da-ran gedacht, wie ich in dieser Situation eine gute Figur mache. Ich wusste: Wenn ich das jetzt gut mache, ist das ein Pluspunkt auf meinem Karrierechart. Und ich hatte Angst, dass ich es verbocke, denn dann wäre mir mein Image als Krisenversager sicher gewesen. Ich musste mir erst da-rüber klar werden, dass die Lösung des Problems im Vordergrund stand und nicht die eigenen Befindlichkeiten.
P: Hab ich das richtig verstanden? Herr Huber ist tot und du überlegst dir, wie du dich und den Auftrag retten kannst? Nach dem Selbstmitleid kam also die Angst?
H: Ja! Ich wollte natürlich nicht gefühllos scheinen, doch vor allem wollte ich nicht, dass mir der Laden dichtgemacht wird. Diese Diskrepanz hat mich noch mehr unter Druck gesetzt. Ich hatte einfach kein Verhaltensmuster parat, konnte gar nicht entscheiden, ob ich nun auf professioneller oder auf emotionaler Ebene handeln musste, geschweige denn, was überhaupt professionell wäre. Einen Krankenwagen rufen? Einen Stuhlkreis mit den Mitarbeitern bilden und über unsere Befindlichkeiten reden? So nach dem Motto: „Was macht das jetzt mit dir?“ Ich war total verunsichert.
P: Da warst du aber nicht besonders selbstbewusst! Aber das ist ja auch verständlich; wenn man mit einer Krisensituation konfrontiert ist, denkt es sich eben etwas langsamer. Aber auf den Punkt: Die ganze Geschichte hatte dich ja kalt erwischt – was war denn für dich in dieser Situation wichtig?
H: Drei Dinge. Erstens: Ich wollte den Auftrag retten – schließlich ging es für die Abteilung ums Überleben. Zweitens: Mein Image beim Vorstand und den Kollegen sollte nicht leiden. Und drittens: Mein mieses Gefühl sollte verschwinden. Wenn ich es mir recht überlege, war das im ersten Augenblick das stärkste Gefühl: Ich wollte den Druck im Bauch loswerden.
P: Ja, das kenne ich.
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