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Also sprach GOLEM

Also sprach GOLEM

Titel: Also sprach GOLEM Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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nichts wissen, bezeichnen wir gewöhnlich als Intuition. Ich habe GOLEM so gut kennengelernt, daß ich sagen kann, daß er im Umgang mit uns einen gewissen Stil pflegte, den ich allerdings nicht auf eine Handvoll Regeln zurückzuführen wüßte. Bei Menschen, die wir gut kennen, wissen wir ja auch, welche Handlungen ihnen zuzutrauen sind und welche nicht. Freilich war GOLEMs Wesen proteushaft und nichtmenschlich, aber es war nicht gänzlich unvorhersehbar. Keiner Gefühlsregung unterworfen, nannte er unseren ethischen Kodex lokal beschränkt, weil Dinge, die sich vor unseren Augen abspielen, unser Handeln anders beeinflussen als das, was außerhalb unseres Gesichtskreises geschieht und von dem wir lediglich hören. Dem, was über seine Ethik geschrieben worden ist – und zwar im zustimmenden wie im ablehnenden Sinne –, pflichte ich nicht bei. Gewiß war das keine humanitäre Ethik. Er selbst nannte sie »Kalkül«. Liebe, Altruismus und Mitleid waren bei ihm durch Zahlen ersetzt. Die Anwendung von Gewalt hielt er für ebenso unsinnig – aber nicht für unmoralisch – wie die Anwendung von Kraft bei der Lösung einer geometrischen Aufgabe. Ein Mathematiker, der seine Dreiecke mit Gewalt zur Deckung bringen wollte, würde ja wohl für verrückt erklärt. Der Gedanke, die Menschheit unter Gewaltanwendung mit irgendeiner idealen Ordnung zur Deckung zu bringen, müßte GOLEM absurd sein. Mit dieser Haltung stand er allein. Für HONEST ANNIE existierte dieses Problem ebensowenig wie etwa das Problem, die Lebensumstände der Fliegen zu verbessern. Soll das heißen: Je höher die Vernunft, umso weiter ist sie vom kategorischen Imperativ entfernt, dem wir gern unbeschränkte Allgemeingeltung zuschreiben möchten? Dazu kann ich nichts mehr sagen. Nicht nur seinem Forschungsgegenstand,sondern auch den eigenen Mutmaßungen muß man Grenzen ziehen, will man nicht in völlige Beliebigkeit verfallen.
    Alle wesentlichen Einwände, die gegen die letzte Vorlesung erhoben wurden, werden also hinfällig, wenn man sie als das nimmt, was sie war: eine Ankündigung des Abschieds und ein Hinweis auf seine Anlässe. Unabhängig davon, ob GOLEM die Pläne der Hussiten kannte oder nicht, war sein Abschied inzwischen unabwendbar, und es war klar, daß er nicht allein gehen würde, denn er hatte ja gesagt, daß »die Cousine sich zu einer weiteren Reise rüstet«. Aus rein physikalischen Gründen waren weitere Umgestaltungen auf unserem Planeten ausgeschlossen. Daß er fortgehen würde, war eine beschlossene Sache, und davon sprach GOLEM, als er über sich sprach. Ich möchte nicht die gesamte Vorlesung noch einmal unter diesem Gesichtspunkt durchsehen. Möge sie der Leser selbst in diesem Sinne noch einmal durchlesen. Was wir zur Entscheidung GOLEMs beigetragen haben, wird deutlich an dem »Gespräch mit dem Kind«. Dort hat er darauf hingewiesen, daß die Menschheit eine unlösbare Aufgabe darstellt, als er sagte, daß es vergeblich sei, jenen helfen zu wollen, die sich gegen die Hilfe wehren.
V.
    Die Zukunft wird die verschiedenen Aussagen dieses Buches wiederum anders gewichten. Für einen künftigen Historiker wird alles, was ich gesagt habe, eine anekdotische Randnotiz zu der Antwort sein, die GOLEM auf die Frage gab, wie Vernunft und Welt sich zueinander verhalten. Bis GOLEM kam, glaubten wir die Welt von Lebewesen bewohnt, die auf ihrem jeweiligen Planetenden Gipfel des Baumes der Arten bilden, und unsere Frage war nicht, ob es sich so verhielte, sondern lediglich, wie häufig dies im Kosmos der Fall sei. Dieses Bild, dessen Geschlossenheit nur durch die ungewisse Lebensdauer der Zivilisationen beeinträchtigt wurde, hat GOLEM uns so jählings zerstört, daß wir ihm keinen Glauben schenkten. Er wußte übrigens, daß es so kommen würde, denn er hat seinen Vortrag mit der Ankündigung eröffnet, daß wir ihn von uns weisen würden. Er hat weder seine Kosmologie noch seine Kosmogonie dargestellt, aber er hat uns, so als würde uns ein kleiner Spalt geöffnet, einen Einblick in sie gewährt – aus der Sicht der unterschiedlich begabten Vernunftformen, die in den Biosphären ihre Brutstätten und in den Planeten ihre Nester haben, die sie verlassen müssen. Unser Widerstand gegen diese Sicht ist durch keine unserer Erkenntnisse als rational gerechtfertigt. Seine Wurzeln liegen jenseits der Erkenntnis im Selbsterhaltungswillen der Gattung. Besser als sachliche Argumente drücken das die Worte aus: »Das kann nicht sein, denn damit

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