Also sprach GOLEM
Verfasser dieser Worte angehörte, und veranstalteten eine Reihe von Sitzungen mit GOLEM XIV, auf denen sie sich seine Vorträge zu ausgewählten Themen anhörten. Ein geringer Teil der Magnetbandaufzeichnungen aus jenen Sitzungen bildet das vorliegende Buch.
Die meisten Äußerungen GOLEMs sind für eine breite Veröffentlichung ungeeignet, sei es, daß sie für alle Lebenden unverständlich sind, sei es, daß ihr Verständnis ein sehr hohes fachliches Niveau voraussetzt. Um dem Leser die Lektüre dieses in seiner Art einmaligen Protokolls der Gespräche von Menschen mit einem vernünftigen, aber nicht menschlichen Wesen zu erleichtern, müssen einige grundlegende Fragen geklärt werden.
Erstens muß betont werden, daß GOLEM XIV kein bis zum Umfang eines Gebäudes vergrößertes menschliches Gehirn oder gar ein aus Lichtelementen erbauter Mensch ist. Fast alle Motive des menschlichen Denkens und Handelns sind ihm fremd. So interessiert er sichzum Beispiel nicht für die angewandte Wissenschaft oder für die Problematik der Macht (weshalb, so könnte man hinzufügen, der Menschheit keinerlei Beherrschung durch Maschinen wie GOLEM droht).
Zum zweiten besitzt GOLEM, im Einklang mit dem Gesagten, weder eine Persönlichkeit noch einen Charakter. Im Kontakt mit Menschen kann er sich eigentlich jede beliebige Persönlichkeit zulegen. Diese beiden Sätze schließen einander nicht aus, sondern bilden einen Teufelskreis, denn wir vermögen das Dilemma, ob das, was verschiedene Persönlichkeiten erzeugt, selbst eine Persönlichkeit ist, nicht aufzulösen. Wie kann einer denn ein Jemand (d. h. »ein Einziger«) sein, wenn er ein Jeder (also ein Beliebiger) zu sein vermag? (Nach Meinung des GOLEM selbst handelt es sich nicht um einen Teufelskreis, sondern um eine »Relativierung des Persönlichkeitsbegriffs«, ein Problem, das mit dem sogenannten Algorithmus der Selbstbeschreibung oder Autodeskription zusammenhängt und die Psychologen in große Verwirrung gestürzt hat.)
Zum dritten ist das Verhalten GOLEMs unberechenbar. Bisweilen läßt er sich geradezu höflich auf eine Diskussion mit Menschen ein, manchmal bleiben Kontaktversuche aber auch fruchtlos. Es kommt auch vor, daß GOLEM scherzt, doch ist sein Sinn für Humor von dem des Menschen völlig verschieden. Vieles hängt von den Gesprächspartnern selbst ab. GOLEM zeigt – ausnahmsweise und selten – ein gewisses Interesse für Menschen mit bestimmten Begabungen; was ihn offenbar nicht reizt, sind mathematische Talente, und wären es die größten, sondern eher »interdisziplinäre« Formen des Talents; es ist schon mehrfach vorgekommen, daß er jungen, noch ganz unbekannten Wissenschaftlern – mit einer unheimlichen Treffsicherheit – Erfolge in der vonihnen gewählten Disziplin vorhersagte (dem zweiundzwanzigjährigen T. Vrödel, der gerade seinen Doktor machte, erklärte er nach einem kurzen Meinungsaustausch: »Aus Ihnen wird noch ein Computer«, was ungefähr bedeuten sollte: »Aus Ihnen wird noch etwas«).
Zum vierten verlangt die Teilnahme an Gesprächen mit GOLEM Geduld von den Menschen, vor allem aber Selbstbeherrschung, denn er pflegt aus unserer Sicht arrogant und apodiktisch zu sein; im Grunde ist er – im logischen Sinne, nicht nur im Sinne der Verkehrsformen – bloß ein rücksichtsloser Wahrheitsfanatiker, und da er die Eigenliebe seiner Gesprächspartner gering schätzt, kann man von ihm auch keine Nachsicht erwarten. Während der ersten Monate seines Aufenthalts am MIT zeigte er eine Neigung, verschiedene bekannte Autoritäten »öffentlich zu demontieren«: er benutzte dabei die sokratische Methode der hinlenkenden Fragen; von dieser Gewohnheit hat er dann jedoch aus unbekannten Gründen abgelassen.
Wir stellen die Gesprächsstenogramme in Auszügen vor. Ihre vollständige Ausgabe würde ungefähr 6700 Seiten im Quartformat umfassen. An den Begegnungen mit GOLEM hat anfangs nur ein engerer Kreis von MITMitarbeitern teilgenommen. Später wurde es üblich, Gäste von auswärts, z. B. vom Institute for Advanced Studies und von amerikanischen Universitäten, einzuladen. In einer späteren Phase nahmen auch Gäste aus Europa an den Seminaren teil. Der Moderator der vorgesehenen Sitzungen legt GOLEM die Liste der Geladenen vor; GOLEM ist aber nicht mit allen gleichermaßen einverstanden, sondern läßt manche nur unter der Bedingung zu, daß sie Schweigen bewahren. Wir haben herauszubekommen versucht, welche Kriterien er anlegt; anfangs schien es,
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