Alter Hass rostet nicht
Colin Banks umzubringen?«
»Wenn man seiner Witwe glaubt: niemand.«
»Was nur bedeutet, dass sie nicht alle Leute kannte, mit denen ihr Mann zu tun hatte.«
»Oder sie kennt den Mörder und hat uns eiskalt angelogen.«
Ich warf den leeren Pappbecher in den Papierkorb. Treffer.
»Wer war der mysteriöse Anrufer, der ihn ins Starbucks bestellt hat?«
»Und welche Information hatte er für ihn?«, ergänzte Phil.
»Hat sie Colin Banks am Ende das Leben gekostet?«
Während wir über diese und andere Fragen nachgrübelten, wurde die Tür geöffnet und ein junger Kollege aus der IT-Abteilung trat ein. Er hatte den Laptop von Colin Banks unterm Arm, auf dem Deckel klebte ein Zettel, auf den mit ungelenker Handschrift ein Wort gekritzelt war.
»Die Leute sind so naiv«, grinste er. »Sie denken, es reicht, ihre Daten mit einem popeligen Passwort zu schützen.«
Er stellte den Laptop vor mich auf den Schreibtisch.
»Um das hier zu knacken, hab ich keine 10 Minuten gebraucht.«
Ich warf einen Blick auf den Zettel. Das Passwort lautete: »Emmyloucb«. Ich schob den Zettel über den Tisch zu Phil.
»Der Vorname seiner Frau und die Initialen seines eigenen Namens. Sehr originell.«
»Danke, Tommie«, nickte ich dem jungen Kollegen zu. »Gute Arbeit.«
»Das nächste Mal darf es ruhig ein bisschen anspruchsvoller sein«, grinste er schief und zog sich zurück.
Ich öffnete den Laptop und fuhr ihn hoch.
»Vielleicht finden wir das Mordmotiv ja auf seiner Festplatte.«
Die nächsten beiden Stunden verbrachten wir damit, die unzähligen Dateien zu überprüfen, die Banks auf seinem PC gespeichert hatte. Das meiste war uninteressant, Privatkram oder Recherchen zu längst abgeschlossenen Fällen.
Interessant war der Mailverkehr zwischen Banks und seinem Mandanten Pedro Gonzales, dem Anführer der Bürgerinitiative, die sich gegen den Abriss ihrer Häuser durch den Immobilienhai Martin Knudson wehrten. Das Verhältnis der beiden war offenbar gut gewesen und von gegenseitigem Respekt gekennzeichnet.
In den letzten Mails wurde Colin Banks immer optimistischer, den anstehenden Prozess zu gewinnen. Seine Andeutungen blieben zwar vage, aber er schien etwas gegen Knudson in der Hand zu haben, das ihn sicher an einen Erfolg glauben ließ.
Eine andere Datei enthielt eine Aufstellung sämtlicher geschäftlichen Aktivitäten von Martin Knudson aus den letzten 15 Jahren. Die Dotcom-Blase hatte ihn um die Jahrtausendwende zu einem reichen Mann gemacht. Noch 2008 belief sich sein Vermögen auf rund 20 Millionen Dollar. Dann kam die Immobilienkrise. Praktisch über Nacht brach der amerikanische Immobilienmarkt zusammen, Martin Knudson verlor alles, was er hatte, und musste Insolvenz anmelden.
Für viele andere bedeutete dieser Crash das Ende des Partylebens. Einige krempelten die Ärmel hoch und fingen noch mal ganz von vorne an, andere stürzten sich von der Golden Gate Bridge oder landeten auf der Couch eines Analytikers.
Nicht so Martin Knudson. Ein Jahr lang verschwand er von der Bildfläche, dann stieg er wie Phönix aus der Asche und nahm sein altes Playboyleben wieder auf, als wäre nichts passiert.
»Wie ist er plötzlich wieder an Geld gekommen?« runzelte Phil die Stirn.
»Das ist die Frage, die wir beantworten müssen«, erwiderte ich. »Genauso wie die Frage, was Colin Banks bei Mimi Blum wollte.«
Mimi Blum war eine kleine, aber feine Galerie im Garment District, südlich des Port Authority Bus Terminal. Banks war seit sechs Wochen registrierter Besucher auf ihrer Homepage und hatte während dieser Zeit die Räumlichkeiten der Galerie offensichtlich auch persönlich hin und wieder aufgesucht.
»Hat Emmylou Banks nicht behauptet, ihr verstorbener Mann hätte mit Kunst nichts am Hut gehabt?«, sinnierte Phil, während er sich den letzten Rest seiner längst kalt gewordenen Apfeltasche in den Mund schob.
»Diese Frau ist undurchsichtiger als eine Versicherungspolice«, stimmte ich ihm zu.
***
Schon während der Fahrt zu Martin Knudson wurde mir nachdrücklich vor Augen geführt, warum die New Yorker die Nordküste von Long Island Gold Coastnennen. Die Menschen, die hier lebten, wohnten nicht in Häusern, sondern in Palästen. Ein Anwesen reihte sich ans nächste wie kostbare Perlen an einer Kette.
Jede Villa versuchte die anderen an Originalität, Größe und bombastischem Dekor noch zu übertreffen – was teilweise zu himmelschreienden Geschmacklosigkeiten führte, wobei die Grundstücke, die sie
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