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Altern Wie Ein Gentleman

Titel: Altern Wie Ein Gentleman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Kuntze
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verwickelte jeden Anrufer in endlose Gespräche. Ich trieb mich oft ziellos und lange in Buchläden, Kaufhäusern und Einkaufspassagen herum und wurde selbst beim Erwerb von Seife oder einer Tube Tomatenmark seltsam sorgfältig. Unvermittelt entwickelte ich eine verblüffend emotionale Nähe zum Abwasch und der Suche nach Krümeln auf dem Küchentisch. Als ich jedoch begann, idiotische Patiencen auf meinem elektronischen Schreibgerät zu spielen und die Ecken meiner Wohnung mit Wattestäbchen zu säubern, wurde mir klar, dass etwas aus dem Ruder gelaufen war.
    Ein befreundeter Psychologe hatte bald die Ursache meiner bizarren Geschäftigkeit erkannt: »Du schwächst durch das Buch den Verdrängungsschutz zu deinem Thema«, erklärte er, »deswegen flüchtest du in Ersatzhandlungen, die du zwar für sinnvoll hältst, die dich aber lediglich von der Beschäftigung mit dem Alter abhalten sollen.«
    »Warum sollte ich das tun?«
    »Weil die Verdrängung zu den wichtigsten Werkzeugen der Psyche gehört, um, neben vielem anderen, das Altern zu ertragen. Ohne Verdrängung würden wir nicht sehr weit kommen.«
    »Und was verdräng ich so?«
    »Das Morgengrauen.«
    Das war eine ebenso hübsche wie trostlose Verdichtung eines komplexen Sachverhalts.
    Nun hatte Verdrängung in meiner Generation eine miserable Presse gehabt angesichts der gigantischen Verdrängungsleistung unserer Eltern, die das erstaunliche Kunststück fertiggebracht hatten, sechs Millionen ermordeter Juden aus ihrem Gedächtnis zu tilgen, bis meine Generation sie unsanft daran erinnerte.
    Um zu verhindern, dass unschöne Erinnerungen oder Vorstellungen uns mit der Zeit die Lebensfreude rauben, hat die Natur der menschlichen Psyche die Fähigkeit zur Verdrängung beigemischt. Durch die Jahrtausende war sie ein stiller, wenig beachteter Wegbegleiter durch die Generationen. Man bediente sich ihrer je nach Anlass, ohne sie bewusst wahrzunehmen. Diese Bewusstlosigkeit war eine wichtige Voraussetzung ihrer Wirkung. Die Einsicht in die Arbeitsweise der Verdrängung hätte vermutlich ihre segensreiche Fähigkeit beschädigt, die Gegenwart von einer quälenden Vergangenheit oder einer ungewissen Zukunft zu entlasten.
    Wer ins Alter kommt, benötigt den Abwehrmechanismus der Verdrängung mehr denn je. Die Vielzahl der drohenden Verluste und Beschädigungen, die in unterschiedlichen Mischungsverhältnissen keinem von uns erspart bleiben, wären bei ständiger Präsenz in unserem Bewusstsein schwer zu ertragen. Wir wissen zwar, was auf uns zukommen kann, und kennen die geringen Chancen, dem zu entrinnen, aber wir verdrängen gottlob die drohenden Gefahren stets aufs Neue. Angesichts der Katastrophen unter den Gleichaltrigen, wenn Schicksalsschläge nicht mehr wie einst die Ausnahme sind, sondern zum Regelfall werden, ist das oft mühsames Tagewerk.
    Die mit Büchern zum Thema gut gefüllten Buchhandlungs-regale versprechen auf den ersten Blick schonungslosen Durchblick, sind aber, bis auf wenige Ausnahmen, Dokumente der kollektiven Verdrängung des Alterns. Sie bezeugen damit auf ihre Weise, wie wichtig dieser psychische Mechanismus ist. In der Mehrzahl geben die angebotenen Werke ihren betagten Käufern reichlich guten Rat zur korrekten Lebensführung. Wer die ungezählten Empfehlungen zur Vorsorge, Gesundheit, Ernährung, Sinnsuche und Körperertüchtigung gewissenhaft befolgt, dem soll das Alter wie der Vorhof zum Paradies werden, wenn man davon absieht, dass ein Vierundzwanzigstundentag nicht ausreicht, um auch nur einem kleinen Teil der Vorschriften nachzukommen. Die beschwerlichen Begleiterscheinungen der letzten Dekaden indes kommen meist nur am Rande vor und scheinen nach Meinung der Autoren das Schicksal einer bedauernswerten Minderheit zu sein.
    Kürzlich hielt ich ein Buch mit dem Titel Älterwerden ist nichts für Feiglinge in Händen. Dieser berühmt-berüchtigte Satz von Mae West zählt in seiner Vielschichtigkeit zu den kostbarsten Einsichten in Bezug auf das Alter. Es braucht demnach das Gegenteil von Feigheit, nämlich Heldentum, um dem Alter würdevoll zu begegnen. Heldentum gehört jedoch kaum zu unseren Alltagserfahrungen, sondern ist seltenen, meist ausweglosen Situationen vorbehalten. Nur in Ausnahmefällen wird die Vergangenheit von uns Heldentum abverlangt haben, nun, im Alter, soll es zum ständigen Begleiter der letzten Jahre werden. Keiner meiner Generation hat Held gelernt. Heldentum war außer Mode gekommen und stand im Verdacht, Verbündeter

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