Altern Wie Ein Gentleman
da sind, um glücklich zu sein.«
»Du wirst sehen, da kommt einiges zusammen. Und anschließend schaust du, was dir heute noch taugt.«
» Fünfzig Pfennig finden, Kettenkarussell fliegen, Anfahrt auf New York, Nordseestrand, falscher Hund, Kind of Blue, Sonnenaufgänge, Balkontomaten, Enid Blyton, Karl May, Thomas Mann, Philip Roth, Ostereier, Kinosäle, der Aufzug im Sunset Marquis, Laublatschen, Opern laut hören, sehr laut! Wein am Abend, Frühlingsgrün, Erbsen pulen, Kaffee am Morgen, Einlochen aus zwölf Metern, einsame Badestellen, Austern, Warming Up a Riff, Lennie Tristano, das Gartenhaus, die Eierschale, Frau Belmont, Klassenmannschaft.« Die Arbeit an der Liste hat erst begonnen. Sie wird lang werden.
Bei meiner Suche waren mir auch Lebensgefährten behilflich: »Du hast doch immer gerne Antiquariate besucht, geflippert und Seinfeld gesehen.«
»Ach ja, stimmt. Hatte ich ganz vergessen.«
Manches ist unwiederbringlich verloren, anderes lässt mich heute kalt, vieles aber kann wieder von Nutzen sein. So eine Liste ist ein taugliches Werkzeug zur Anfertigung eines aphoristischen Lebensstils, mit dem ich jetzt beschäftigt bin. Überdies hält es mich davon ab, an dem alten Knochen der Sinnfrage zu nagen.
Ich war bereits einige Zeit damit beschäftigt gewesen, mich zurechtzufinden, als ich jäh unterbrochen wurde. Durch eine Verkettung unwahrscheinlicher Zufälle, der stummen Gebieter über unser Leben, wurde ich gebeten, an der Produktion von drei Fernsehdokumentationen teilzunehmen, in denen ich in der Rolle eines Suchenden zu sehen bin. Alter, Ehrenamt und Glaube waren die Bezugspunkte meiner Bemühungen.
So war auf Zeit, und ganz entgegen meiner Überzeugung, das Alter gehöre dem Müßiggang, eine kleine, späte Karriere entstanden, die mit meinem Vorleben außer dem Medium wenig gemeinsam hatte. Meine Suche, die in der Zwischenzeit an ihr Ende gekommen ist, beanspruchte zwar einen geringen Teil des Jahres, aber in dem kleinen Zeitbecken sammelten sich gewichtige Lebenszutaten wie Sinn, Anerkennung, Gesellschaft, Bestätigung, die man auch im Alter noch gut gebrauchen kann, wenngleich sie schwerer zu erwischen sind. Die Sucherei war nebenbei ein prächtiges Experimentierfeld für jene Gedanken und Befürchtungen, die das Alter unweigerlich begleiten.
Gelegentlich habe ich in Gesellschaft, während pausenlos geplaudert wird, das bestürzende Gefühl, es sei schon alles gesagt und es lohne nicht mehr zu reden, hingegen zu schweigen. In solchen Augenblicken wird es einsam. Ich ziehe mich zurück und bin still, während sich die Stimmen ringsum zu einem unentwirrbaren Geräusch verdichten. Das einzige thematische Neuland, das ich in seiner unermesslichen Weite und Vielfalt in letzter Zeit betreten habe, ist das Alter. Bevor ich mich ihm zugesellt hatte, war ich fest entschlossen gewesen, nie ein Wort darüber zu verlieren. Das Sujet ist nicht besonders reizvoll, und die Rede vom Alter macht alt. Das Thema wirkte wie eine unpassende Bemerkung bei Tisch, und die sind mir in früher Jugend ausgetrieben worden.
In der Zwischenzeit bin ich anderer Meinung: Wir müssen reden, wann immer uns danach ist. Stiller Kummer und diszipliniertes Leid sind nutzlose Gefährten im Alter, denn der eigene Körper wird zur steten Ursache verstörender Erfahrungen. Jahrzehntelang war er, von Ausnahmen abgesehen, ein treuer Begleiter, der uns zuverlässig und unauffällig durch das Leben führte. Er war die Quelle von Lust und deren Erfüllung. Er war der Motor unserer Mobilität und das Werkzeug, mit dem wir uns die Umwelt nach unseren Vorstellungen eingerichtet hatten. Gelegentliche Störungen wurden repariert und waren schnell wieder vergessen. Niemand dachte ständig über Herz, Kreislauf und Gefäße nach. Sie waren die treuen Diener des Lebens, das im Kopf geplant wurde und sich des Körpers als seines Werkzeugs, meist unbewusst, bediente. Wer zu viel über ihn nachdachte, ging zum Psychologen.
Im Alter wird aus dem getreuen Kameraden häufig ein gefährlicher, unberechenbarer Weggefährte. Der Körper wird zum erbittertsten Feind seiner selbst. Man kann das Alter auch als allmählichen Prozess der Trennung von Geist und Leib begreifen, in dem Letzterer nach und nach die Oberhand gewinnt, bis er schließlich alles in den Abgrund reißt. Der körperliche Verfall ist jedoch nicht nur ein biologisches Phänomen, sondern berührt zutiefst das eigene Selbstverständnis. Es trennt sich, was ein Leben lang
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