Altstadtrebellen
Ein Straßenfest an einem leicht windigen Herbsttag
Der, den keiner versteht, versteht mich am besten! Um die siebzig ist er, der Ranftl Sepp. Netter Kerl. Er nuschelt etwas, weil er immer sein Gebiss verlegt. Sagt er. So habe ich ihn zumindest verstanden. Eigentlich nuschelt er sogar sehr. Wahrscheinlich findet er seine dritten Zähne schon lange nicht mehr. Oder er hatte nie welche.
Auf seiner steirischen Quetschen spielt er leise Seemannslieder. Ohne es zu merken, summt er die Melodie mit: »Ob am Kai von Casablanca, ob am Kap von Salvador, hm hm hm hm hm hm hmhm.« Ich vermute, ich summe auch mit. Wenn er redet, dann mit einer solchen Eindringlichkeit, dass man sich gezwungen fühlt, so zu tun, als würde man ihn verstehen. Ich lege mir dann immer was zurecht, was er gemeint haben könnte, und gebe die entsprechenden Antworten. Klappt nur bedingt. Besser er spielt, und wir summen.
Das ist mein Platz auf diesem Straßenfest. Neben dem Ranftl Sepp. Leise Seemannslieder. Etwas abseits von den anderen. Kaum bemerkt. Geplant war es nicht, dass ich heute hier sitzen würde, auf diesem Straßenfest, an diesem leicht windigen Herbsttag, zwischen Ferienende und Oktoberfest. Geplant war das nicht. Aber dazu später.
Das Geschehen vor mir läuft ab, als hätte ich Pergamentpapier vor mein Gesicht geklebt. Gorillas im Nebel. Mir fallen immer Filmtitel ein, wenn vor mir etwas abläuft und ich mich nicht beteiligt fühle.
Auf der gegenüberliegenden Bank sitzt, mittendrin und doch einsam, mein Freund Herbert. Sein Blick ist in die nahe Ferne gerichtet, als ob er mit Adleraugen eine Ameise auf dem Asphalt beobachtet. Er blickt mit dem Ausdruck der Ausdruckslosen.
»Hey, Herbert, setz dich halt zu uns. Bei uns ist noch frei. Herbert. Warum sagst du denn nichts?«
»Wer immer redet, lernt keinen kennen!«, sagt er.Vielleicht hat er Recht, denke ich. Manchmal ist er aber auch kompliziert. Manch einer versteht das falsch, würde eher sagen: »Wer nie seinen Mund aufmacht, der lernt überhaupt keinen kennen!« Aber so meint er das nicht, der Herbert. Ich kenne ihn.
Frauen wollen es immer schummrig
Nach den chaotischen Ereignissen der letzten Zeit wollte ich diesen Tag nutzen, um in aller Ruhe über den Begriff Auszeit nachzudenken.
In meinem »Café Klughardt«, an meinem schönen Holztisch hinten rechts, möchte ich von früh bis spät sitzen und über Auszeit nachdenken. Das hübsche Fräulein Tatjana bringt mir meine Getränke. Auch wenn sie mich nie beachtet, freue ich mich, wenn ich sie sehe. Nicht zu dünn, kräftiger Gang, keine Tänzerin, aber eine Art! Eine Art! Sie taucht mich mit jeder Geste in ein Sammelbecken der Illusionen. Sie weiß es nicht, und das soll auch so bleiben. Vielleicht sind es die Illusionen, die uns zu einer Auszeit verhelfen? Das Reale, das uns umgibt, das alleine kann es doch nicht sein. Weil man ja drin ist. Das ist die Drinzeit. Das kann es ja nicht sein. Die Vorstellung, die wir uns von etwas machen.
Sobald Wirklichkeit und Vorstellung zusammentreffen, womöglich auch noch geplant, müssen wir die Dinge neu ordnen, was schwer ist. Deshalb geben wir dem Ganzen Worte, was sonst bleibt uns übrig. Aber die Illusion hat sich da schon verabschiedet.
Ich würde das Fräulein Tatjana gerne mal auf ein Glas Wein einladen. Aber nicht im Café und nicht tagsüber. Sondern abends in einem schönen Lokal. Aber es ist unglaublich schwer, ein schönes Lokal zu finden. Ich mag Lokale, die gleichmäßig ausgeleuchtet sind, mit so einem angenehmen Neonlicht, wo man sich gut erkennen kann. Aber es gibt kaum eine Frau, die diese Leidenschaft mit mir teilt. Frauen wollen es immer schummrig. Da weiß ich schon beim Reingehen, dass ich ungünstig wirke. Also lasse ich das erst mal mit der Einladung.
Eigentlich schreibe ich in meinem Café auch immer Tagebuch, angedacht als Mahnmal für das eigene Leben, um rückwirkend zu lesen, ob sich denn etwas gebessert hat. Und wenn ich mal was geschrieben habe, so meine Hoffnung, dann kann ich mir das auch besser merken, weil das nicht so einfach ist mit der Steuerung, was man sich merkt und was nicht. Gedächtnistraining hilft da nicht, weil erst mal die innere Einsicht fehlt, sich das alles merken zu müssen. Ohne Einsicht kein Training.
Also vermischt sich das, die Gedanken über Auszeit, das Tagebuch und der Terminkalender, und ich schreibe alles in ein und dasselbe Buch. Vergangenheit plus Zukunft, um mit
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