006 - Ende eines Quellherren
Stille.
Absolute Stille lag über dem weitläufigen unterirdischen Gangsystem.
Die Stille von Jahrhunderten, wenn nicht sogar von Jahrtausenden.
Nichts rührte sich. Dann und wann sprangen die automatischen Luftumwälzungsanlagen an, um zu verhindern, dass sich der Staub, der durch irgendwelche Ritzen in den Wänden in die Gänge eindrang, setzen konnte.
Dann und wann … alle paar Jahre, wenn die Sensoren des Zentralcomputers eine ausreichende Staubanhäufung feststellten.
Sonst … nur Stille. In den Gängen, den Räumen, der großen, pyramidenförmigen Kuppel. Stille in den elektronischen Windungen des Zentralgehirns. Kein Luftzug, kein Licht, nur Dunkelheit und Stille.
Kein Licht, kein Geräusch, keine Bewegung.
Nur Finsternis und völlige Lautlosigkeit.
Und dann, übergangslos, erwachte irgend etwas zu neuem Leben. Ein leises Knistern, das verzögerte Anspringen elektronischer Schaltkreise, die seit Jahrhunderten, Jahrtausenden nicht mehr aktiviert worden waren.
Doch die Technik versagte nicht. Selbst nach dieser langen Zeit funktionierte sie reibungslos, sobald ihr erst die Anordnung gegeben war, aus einem Zustand der Desaktivität überzuwechseln in einen Zustand zuerst der Aufmerksamkeit, dann der Tätigkeit.
Ein Geräusch ertönte – unnatürlich laut nach den Jahrhunderten absoluter Geräuschlosigkeit.
Aber es war niemand da, der dieses Geräusch hätte vernehmen können. Niemand – abgesehen von den elektronischen Augen, Ohren und Sensoren des Zentralgehirns und seinen mechanischen Helfern.
Nach dem Geräusch kehrte Licht ein in das unterirdische Schachtsystem. In der großen, pyramidenförmigen Kuppel baute sich blitzartig ein Fluoreszenzfeld auf!
Tief im Innern der Station liefen mächtige Aggregate an. Das Entstehen des Fluoreszenzfeldes konnte nur bedeuten, dass die Jahrtausende der Inaktivität ein Ende gefunden hatte.
Das Zentralgehirn reagierte seiner Programmierung zufolge. Jahrtausende alte Befehle traten wieder in Kraft, als sei seit dem Zeitpunkt, da sie erteilt worden waren, nur eine Woche, ein Tag, eine Stunde, eine Minute vergangen. Die einmal gegebenen Befehle hatten nichts von ihrer Gültigkeit verloren.
Sieben Körper erschienen in dem Fluoreszenzfeld, praktisch in Nullzeit über schier unvorstellbare Entfernungen transportiert.
Sieben leblose Körper …
*
Als Tritar das Ganglion betreten wollte, fiel ihm auf, dass er noch immer einen abgebrochenen Quellgraswedel in der Hand hielt. Das holzige, vertrocknete Ende zersplitterte unter dem Druck seiner Finger und er schleuderte das verräterische Pflanzenteil von sich, als sei es ein giftiges Insekt.
Fast hätte er einen Fehler begangen. Im Zentrum des Quellhauses zählten nur die alten, überlieferten Regeln der Etikette, über deren Einhaltung angeblich Shan höchst persönlich wachte. Selbst die mächtigsten und angesehensten Quellherren beugten sich seinem Diktat.
Wäre er schmutzbedeckt und mit dem Quellgras in der Hand in den Ratsraum getreten, hätte er unweigerlich die Aufmerksamkeit aller Anwesenden auf sich gezogen. Ein Quellherr, so lautet das Gebot, durfte nicht mit den niederen Rängen Hand auf den Feldern anlegen, sondern hatte die Clansangelegenheiten zu ordnen und zwischen Shan und seinen Untergebenen zu vermitteln.
Shansprecher Glaukol würde ihm zwar nur einen missbilligenden Blick zuwerfen, doch die anderen Quellherren würden ihm seine Verfehlung vorwerfen. Und gerade das kam ihm heute so ungelegen wie nie zuvor; denn die Sonne, die unbarmherzige Sonne, unter deren Hitze die Stunden auf den Feldern verglühten, hatte sich in seinen Kopf eingenistet, seine Willenskraft zu Asche verbrannt und nichts als dunkle Vorahnungen hinterlassen.
Als die Flügeltüren vor ihm zur Seite wichen, musste er erkennen, dass er bereits gegen die Gebote verstoßen hatte. Er kam zu spät; die übrigen Quellherren hatten sich schon im Zentrum versammelt. Allerdings beachteten sie ihn kaum; vertieft lauschten sie den Worten des Quellherren Tremish.
In seiner Benommenheit flog das Gespräch an Tritar vorbei; er stieß einen in der Nähe des Eingangs sitzenden Ratsherren an, doch bevor er eine Frage stellen konnte, drehte der andere sich unwillig um. »Nicht jetzt«, raunte er. »Der Clan wird gerade aufgeteilt.«
Für einen Moment glaubte Tritar, in eine von Tremish geschickt ausgelegte Falle getappt zu sein. Er wollte sich schon umwenden und voller Panik aus dem Ganglion stürzen, um zumindest seine Ehre zu
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