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Am Anfang war das Chaos

Am Anfang war das Chaos

Titel: Am Anfang war das Chaos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Kneifel
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Entbehrungen kannte ebenfalls ein jeder von ihnen. Also galt es: Tod oder Sieg. Sie waren entschlossen, zu siegen – aber sie mochten dabei auch sterben. Ihr Mut war grenzenlos, ebenso groß wie ihre Verzweiflung. Deswegen arbeitete sich die Haryie trotz der vielen schmerzenden Wunden weiter vorwärts.
    »Wir sind gleich da!« keifte sie. »Schwinge dein Schwert, Helmond.«
    »Meinetwegen«, gab er mürrisch zurück.
    Sie rannten das letzte Stück der sandigen, von Pfützen bedeckten Straße entlang, zogen sich auseinander und stürmten, als sie des Lagers ansichtig wurden, mit gellenden Schreien auf die Fremden zu. Sgnore flatterte dicht über den Köpfen der überraschten Menschen im Zickzack hin und her und gab ihre kreischenden Schreie ab. Die beiden Pferde rissen die Köpfe hoch, wieherten erschreckt und stiegen in die Höhe, wirbelten mit ihren Hufen. Die Kinder schrien und flüchteten ins Gebüsch oder in die Arme ihrer Mütter. Die Frauen und Mädchen rannten schreiend in alle Richtungen, und alle Männer griffen zu ihren Waffen. Mit wenigen Sprüngen war Helmond in der Mitte des Lagers, das gerade aus dem Schlaf erwacht war. Seine scharfe, schneidende Stimme hallte über die Lichtung.
    »Fremde!«
    Er sprach Gorgan ziemlich flüssig. Schon bei den ersten Worten merkte er, daß sie ihn verstanden.
    »Ihr seid in die Hand der furchtbaren Helmond-Rotte gefallen. Ihr seid umzingelt. Rings um euch, im nassen Dschungel, stehen meine Bogenschützen.«
    Eine Frau mit schwarzem Haar, offenem Mieder und einem scharf gezeichneten Gesicht sprang auf und schleuderte ihm Worte entgegen.
    »Lasse sie dort stehen, Helmond. Sie können uns töten. Aber wir haben keine Wertgegenstände, die Wegelagerern weiterhelfen würden.«
    Helmond rannte auf die hochgewachsene Frau zu. Sie überragte ihn um einen Kopf. Er starrte in ihre funkelnden Augen.
    »Hüte deine scharfe Zunge, Frau. Wir können euch vernichten!« schrie er. Die Frau stemmte die Fäuste in die fülligen Hüften und schrie:
    »Und was habt ihr davon? Ihr tötet Kinder, Verwundete und Arme. Ein schöner Wegelagerer bist du, Helmond!«
    Helmond wurde unsicher… nur die Haryie erschreckte, indem sie im Tiefflug ihre Kreise über dem Lager zog, die Wanderer. Wie Tiere, deren Bewegungen so schnell waren, daß man sie nicht mehr deutlich wahrnahm, stoben Santauta und Tautason durch das Lager. Kreischend flüchteten die Kinder vor ihnen.
    »Werft die Waffen weg!« schrie Helmond. Die wenigen Waffen fielen ins nasse, niedergetrampelte Gras.
    »Und jetzt? Willst du mich schänden, Kleiner?« schrie Sophela. »Komm nur! Ich habe schon lange keinen Mann mehr gehabt. Du kommst mir gerade recht!«
    Sie stieß ein sarkastisches Gelächter aus. Helmond schrie sie an.
    »Woher kommt ihr?«
    Der Angriff war schon jetzt ins Leere gegangen, obwohl sich die Fremden tatsächlich fürchteten. Die Anführerin deutete auf das Feuer unter dem rußigen Kessel und rief:
    »Setzt euch zu uns. Eßt von unserem letzten Proviant. Und dann vermögt ihr die beiden Pferde und die zwei Jungfrauen zu rauben. Es ist ein Unding, uns zu überfallen. Wir haben nicht mehr als unser nacktes Leben. Wir sind Kantaler und kommen aus dem nördlichen Teil von Kantalien.«
    Helmond ging näher an sie heran und senkte sein Schwert. Seine raschen Blicke und der Umstand, daß die zänkische Haryie sich auf einen der beiden Wagen gesetzt hatte und schwieg, hatten ihm gesagt, daß es hier keine Beute gab.
    »Was ist Kantalien?« fragte er. Die Frau starrte ihn aus großen, dunklen Augen an und machte nicht einmal Anstalten, an den langen Dolch zu greifen, der in ihrem Gürtel steckte.
    »Das Land, aus dem wir kommen!« gab die Frau zurück. »Viele Tagesreisen weit. Und woher seid ihr, die Furchtbaren der Zeit nach ALLUMEDDON?«
    Sie sprachen Gorgan. Helmond sah die etwa zehn Männer in jedem Alter, die sich im Halbkreis hinter der Anführerin aufgebaut hatten. Jeder von ihnen war am Ende seiner Kräfte. So machte der schönste Überfall keinen Spaß mehr! Seine Erregung verlor sich wie Wasser, das durch grobmaschigen Stoff tropfte.
    »Was ist ALLUMEDDON?« wollte er wissen.
    »Der Name für das Unglück, das über unsere Welt gekommen ist. Unsere Welt, deine Welt – die ganze Welt. Verstehst du das, tapferer Wegelagerer?«
    Sophela griff in ihr schwarzes Haar und schob es in einer wilden Bewegung in den Nacken. An den Schläfen war das Haar grau geworden. Sophela erinnerte ihn an seine Frau, wenn sie zornig

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