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Am Anfang war das Chaos

Am Anfang war das Chaos

Titel: Am Anfang war das Chaos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Kneifel
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1.
    Sie lebten im Chaos, denn sie wußten es nicht besser. Sie litten darunter, und in den Nächten träumten sie wirre, unerklärliche Träume von vergangenen oder zukünftigen Zeiten oder von wunderbaren Gegenden.
    Aber – sie lebten.
    Caronj schüttelte sich. Über sein Fell, das mit Schmutz und Spuren beißend riechenden Schweißes bedeckt war, lief ein Schauer. Ilfa stieß die Fersen in seine Seiten und schlug ihm auf die Schulter.
    »Müde?« fragte er. »Oder hast du Angst.«
    »Keine Angst«, antwortete Caronj und drehte den Kopf über die Schulter zurück. »Es ist sinnlos. Wir kommen hier nicht durch.«
    »Dann dorthin!« rief Ilfa und deutete mit dem Ende des schlanken Bogens nach links.
    »Meinetwegen. Das ist ein Land für Sgnore!« brummte er, peitschte mit seinem langen Schweif die Luft und galoppierte nach links, auf einen riesigen, bleichrindigen Baum ohne Blätter zu. Seine scharfkantigen Hufe erzeugten auf dem Boden einen schnellen, harten Wirbel. Unter dem Horn der Hufe lag festgebackener Sand, in Schollen zerfallen.
    »Nichts gefunden«, murmelte Ilfa, beugte sich vor und legte einen Arm um die Schulter Caronjs. In beiden Händen trug er ein langschäftiges Kampfbeil mit doppelter Schneide. Ein kurzer Galopp brachte ihn entlang der bekannten Markierung von Schattenparadies bis zu dem phantastisch aussehenden Baum. Die Wurzeln ragten wie die Gebeine von Verscharrten aus dem Boden, die sich aus ihren Gräbern erheben wollten. »Wir werden vielleicht etwas finden. Was es ist, weiß nicht einmal dein Vater!«
    »Trotzdem! Wir müssen es wissen!« rief Ilfa.
    Der Junge sprach Schattenwelsch besser als die Sprache, die sie als Gorgan kannten. Seit einigen Handvoll von Tagen versuchten sie herauszufinden, was mit Schattenparadies wirklich geschehen war.
    Die Vergangenheit lag in der Düsternis einer schauerlichen Erinnerung. Die Welt bebte, der Himmel war von Blitzen erhellt und gleichzeitig gespalten, die jagenden Wolken hatten alle Farben gehabt, die je ein Auge gesehen hatte. Stürme und Wasserfluten, Spalten in der Rinde dieser Welt und Dutzende von völlig unbekannten, unverständlichen Schrecknissen waren über die Wegelagerer der Schattenzone hereingebrochen.
    Hatten sie bisher die Trecks der Pfader überfallen und ihnen den nackten Schrecken beigebracht, so litten sie nun selbst unter Angst und Panik. Das Heulen seltsamer, aufflammender Himmelssteine hoch über ihren Köpfen – noch heute entsannen sie sich dieser schauerlichen Laute!
    Was war geschehen? Sie wußten nur, daß sich ihre bisherige Heimat aufgelöst hatte in einer Folge von schweren Beben. Die Landinsel, die sie Schattenparadies nannten, war davongeschleudert worden; in ein Land, von dem Helmond sagte, es sei Gorgan. Ringsherum lagen unbekannte Wälder, Moore, Dschungel und Felsen. Sie kannten nur winzige Ausschnitte davon.
    Ihr Versteck indessen war dem Erdboden gleichgemacht worden. Alle Vorräte – oder fast alle –, die Beute, alle die geraubten Schätze und Seltsamkeiten, alle ihre Habe war unter den Quadern der niedergebrochenen Bauten begraben.
    »Caronj! Meinst du, daß es hier auch Pfader gibt?«
    Seit dem Zusammenbruch des gewohnten Weltbilds war nicht ein einziges Mal ein Lichtstrahl oder gar das Licht der Sonne durch die Düsternis des Himmels gedrungen. Undurchdringlicher Nebel hing über dem Land. Nur in den Nächten wurde es ganz schwarz, finster wie in einer Gruft.
    »Möglich. Ich glaube es nicht.«
    »Wovon werden wir dann leben?«
    »Das weiß nicht einmal dein Vater Helmond.«
    »Ich habe seit dem Zusammenbruch keinen Wanderer gesehen!«
    »Nicht einmal die Haryie sah jemanden«, lautete die mürrische Antwort. Auf dem Rücken Caronjs ritt Ilfa unter den tiefhängenden Ästen des abgestorbenen Baumes hindurch. Stinkende Schwämme wuchsen am Stamm und in den Astgabelungen. Ilfa kannte den schmalen Pfad nicht, der sich undeutlich im Gewirr des Dschungels abzeichnete. Als Caronj seinen Vorderfuß über einen glitschigen Stein hob, ertönte aus dem Bauch der Welt ein dumpfer, polternder Laut. Der Boden schüttelte sich, der Körper des Zentauren wurde hin und her geschleudert. Ilfa klammerte sich mit beiden Armen an seine Schultern.
    »Schon wieder!« keuchte er. »Hört es denn nie auf?«
    Am Tag, als sich die Schattenzone auflöste, begannen die Beben. Die Zone des Schreckens schien unendlich groß zu sein. Das Rütteln des Bodens hörte plötzlich auf, aber aus der Höhe drang das Rumpeln und Krachen von

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