Siebenpfahl (German Edition)
Kapitel 1
Freitag,06.
Juli 2007
*
Z wölf Uhr, ein heißer Sommertag, um die 34° warm und windstill. Die
Schwüle lastete wie ein dichter Dampfteppich über der alten Burgruine, auf der
sich Marcel gerade mit seinen Eltern befand.
Marcel stand wieder einmal vor dem schweren Eisengitter, das den
Zugang zum Kerker versperrte. Durch die Gitterstäbe blickte er hinunter in das
dunkle Gewölbe, wobei ihn wieder dieses seltsame Gefühl überkam, so, als ginge
von dort unten etwas Geheimnisvolles aus. Der modrige Geruch stieg ihm förmlich
in die Nase und er fragte sich, wie viele Menschen wohl über die Jahrhunderte
hinweg darin zu Tode gekommen waren?
Plötzlich fuhr er erschrocken herum.
Was war das?
Hatte ihn eben wirklich ein eiskalter und heftiger Windstoß
gestreift? Oder hatte er sich alles nur eingebildet? Er blickte den Korridor hinauf,
der zum Innenhof der Burg führte, wo gerade ein aufgewirbelter Papierfetzen zurück
auf den Boden fiel. Seltsam, dachte er, denn ansonsten war alles still. Nichts
war mehr zu hören, kein Geräusch, keine Stimmen, nichts.
Sein Vater trat in den Korridor. »Alles in Ordnung?«, rief er herunter.
Marcel zuckte die Achseln. »Bin okay! Was war das für ein Wind
eben?«
»Keine Ahnung! Vielleicht eine Windhose? Die kann sich aufgrund
der schwülen Luft und den Temperaturunterschieden in der Region schon mal
bilden. Die eisige Kälte ist aber auch mir ein Rätsel.«
Etwas später, eine halbe Stunde war vergangen, befand sich die
Familie wieder auf dem Heimweg nach Schlierbach.
*
S chlierbach lag inmitten eines herrlichen Hügeltals. Es war ein kleines
idyllisches Dorf, das etwa sechshundert Einwohner zählte – und durch das der bekannte
Nibelungenpfad führte.
Es gab eine evangelische Kirche mit einem angrenzenden Friedhof,
der fast ausschließlich aus sogenannten „Stickeln“ bestand; das waren weiß
gestrichene Holzkreuze, auf denen in schwarzen Buchstaben die Namen der Toten
standen.
Einen tollen Abenteuerspielplatz gab es auch, doch das Herzstück
des Dorfes waren zweifelsohne die alten denkmalgeschützten Fachwerkhäuser rund
um die Kirche.
Marcel steckte das Handy in seine Hosentasche und lehnte sich entspannt
zurück in seinen Schreibtischstuhl. Gerade hatte er Tom, Leon, Pascal, Christopher
und André angerufen und sich mit ihnen für den nächsten Morgen im Schuppen verabredet.
Er musste ihnen unbedingt von seinen Beobachtungen erzählen.
Nachdem er den Rest des Tages mit Musikhören und Mailschreiben verbracht
hatte, ging er früh zu Bett. Er wollte noch etwas lesen. Mit seinen dreizehn
Jahren las er für sein Leben gern, wobei es ihm Abenteuergeschichten besonders
angetan hatten.
Irgendwann schreckte er auf. War da eben ein Geräusch? Das Buch
lag auf seiner Brust und die Nachttischlampe brannte. Er musste eingeschlafen
sein und geträumt haben, irgendwas, an das er sich gerade nicht erinnern konnte.
Er überlegte, wobei er sich prüfend im Zimmer umsah. Ein eigenartiges
Gefühl überkam ihn, als würde ihn jemand beobachten.
Doch dann, langsam, kam die Erinnerung an seinen Traum zurück: Er
war auf der Burg … eine hallende Stimme hatte ihn beim Namen gerufen … er war irgendwo hindurchgeschlüpft … hatte einen Schlag vernommen … und war aufgeschreckt.
Er blickte auf die Uhr: halb Zwölf, und er war hellwach.
Seufzend griff er nach seinem Buch, legte es jedoch schnell wieder
beiseite, da er sich nicht konzentrieren konnte. Immer wieder schweiften seine
Gedanken ab … hinauf zur Burg … zum Kerker … zu dem unheimlichen Wind.
Erst eine ganze Weile später fiel er in einen unruhigen Schlaf.
Samstag, 07. Juli.2007
*
A ls Marcel die Augen öffnete, erschrak er. Er dachte verschlafen zu
haben. Doch nach einem raschen Blick auf die Uhr war er erleichtert: Es war
erst kurz nach acht. Er hatte also noch genug Zeit zum Duschen und Frühstücken.
Um Punkt 9:30 Uhr traf er am Treffpunkt ein. Seine Freunde hatten
sich bereits in dem gemütlichen Schuppen versammelt, den sie sich vor gut einem
halben Jahr selbst zusammengezimmert hatten. Er war nicht sonderlich groß und
stand seitlich an einer Scheune, die zu einem großen Bauernhof gehörte. Ein Baum
breitete seine Äste über ihm aus und verdeckte ihn teilweise. In seiner Mitte
stand ein Tisch, an dem Marcels Freunde saßen und Cola tranken, wie meistens bei
ihren Treffen. Cola war ihr „Nationalgetränk“, wie sie zu sagen pflegten.
Marcel hatte sich kaum
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