Am Anfang war der Tod
leben lassen.“ Sie musste es wissen; schließlich war sie bei ihrem Onkel aufgewachsen. Oft stimmte sie es traurig, dass sie sich kaum an ihre Eltern erinnern konnte. Sie waren bei einem Autounfall ums Leben gekommen, als sie drei Jahre alt war. Sie vergötterte Nick; er hatte ihr Vater und Mutter mit Hingabe und Liebe ersetzt, und nichts wünschte sie ihm mehr, als dass er sich sein stilles Glück, das sein Leben wie ein roter Faden durchzog, erhalten möge. Und ob er glücklicher wäre als Sharons Ehemann oder als Junggeselle, das musste er selbst entscheiden.
„Hey, das ist ja eine coole Hose“, sagte Jan und beugte sich nach vorn, um Karen das Foto in ihrer Modezeitschrift zu zeigen. „Glaubst du, dass sie jemandem mit dicken Oberschenkeln steht?“
„Die sieht ja wirklich super aus“, stimmte Karen zu.
Mit gespielter Entrüstung schlug Jan ihrer Freundin mit der Illustrierten auf den Arm. „Hey, ich wollte von dir hören, dass ich keine fetten Schenkel habe.“
„Entschuldige. Du hast keine fetten Schenkel. Und ich glaube, mir würden sie auch gut stehen – einer kleinen Person mit einem runden Hintern.“
„Die Hose gefällt mir echt gut“, sagte Jan.
„Hey, ich wollte von dir hören, dass ich keinen runden Hintern habe.“
„Ich bin neidisch, weil ich nur Schenkel und keinen Hintern habe“, seufzte Jan. Dann änderte sie abrupt das Thema. „Ashley, du hättest zur Polizei von Coral Gable oder South Miami gehen sollen anstatt zur Metropolitan. Was hast du dir nur dabei gedacht? Bei Coral Gable sind die gut aussehenden Typen. Und dazu sind sie noch nett.“
„Ja, die Kerle bei der Metropolitan können ziemlich mies sein“, pflichtete Karen ihr bei.
Ashley musterte Karen mit hoch gezogenen Augenbrauen. „Für dich sind das doch bloß miese Kerle, weil sie dich geblitzt und dir ’ne Menge Geld abgeknöpft haben“, meinte sie. „Ich wollte aber zu den Jungs bei der Metropolitan.“
Miami-Dade County, auch bekannt als das Gebiet von Greater Miami, bestand aus mehr als zwei Dutzend kleinerer Städte, Dörfer und Gemeinden. Einige hatten ihre eigene Polizeitruppe, deren Abteilungen sich um alles kümmerten – von Verkehrsdelikten bis zum Mord. Andere wiederum verließen sich auf die Metropolitan Police, deren Morddezernat und gerichtsmedizinische Abteilungen für den gesamten Regierungsbezirk zuständig waren. Ashley hatte immer in einem der Departments arbeiten wollen, die im ganzen Gebiet zum Einsatz kamen, in dem sie aufgewachsen war. „Es gibt in allen Abteilungen gute Cops – und manchmal sogar intelligente.“
„Und du hattest ja wirklich einen Affenzahn drauf, als du deinen Strafzettel bekommen hast“, gab Jan zu bedenken. „Schau mal, Ashley ist schon richtig scharf drauf. Wenn sie demnächst ihre Prüfung in der Tasche hat und Leute erwischen muss, die zu schnell fahren, solltest du besser aufpassen und nicht mit 90 Meilen über den Highway brettern.“
„So schnell bin ich noch nie gefahren“, protestierte Karen. „Und guck mal, wie Ashley auf die Tube drückt.“
„Sie fährt nur zwei Meilen schneller als erlaubt“, sagte Jan. „Du willst doch nicht den ganzen Weg bis Orlando im Schneckentempo zurücklegen.“
Noch ehe Jan ihren Satz beendet hatte, trat Ashley auf die Bremse.
„Da hast du’s“, meinte Jan.
„Nein, nein, da vorne ist was passiert“, sagte Ashley.
Die Bremslichter der Wagen vor ihr leuchteten auf; die Fahrzeuge wurden langsamer; Reifen quietschten. Hinter ihr wären fast zwei Autos aufeinander geprallt.
Sie kamen an der Mautstation an. An dieser Stelle hatte der Highway fünf Fahrspuren in jede Richtung, und nur wenige hundert Meter weiter vorne lag der Abzweig zum East-West-Expressway. Der frühe Berufsverkehr, der gerade noch zügig vorangekommen war, staute sich innerhalb kürzester Zeit zu einer kilometerlangen Schlange.
„Was zum Teufel ist da los?“ murmelte Ashley. Während sie dicht an den vorderen Wagen heranfuhr, bemerkte sie, dass zwei Fahrzeuge offenbar zusammengestoßen waren. Sie war zwar nicht im Dienst und noch in der Ausbildung, aber wenn sie Zeugin eines Unfalls wurde und keine anderen Polizisten anwesend waren, war sie verpflichtet, den Unfallort nicht zu verlassen, bis ein diensthabender Kollege eintraf. Gerade als ihr der Gedanke durch den Kopf schoss, warf Karen, die vor Jahren mit dem Gedanken gespielt hatte, Jura statt Pädagogik zu studieren, ihr einen Blick zu.
„Nein, wir brauchen hier nicht zu halten. Da
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