Am dreizehnten Tag: Die Bestimmung (German Edition)
bemerkten.
Zaghaft nippte sie an dem Gebräu.
„Noch zu heiß“, murmelte sie.
Sie musste Zeit schinden. Plötzlich kam ihr ein Gedanke.
Sofort trank sie etwa die Hälfte des Tees und sprach die magischen Worte, wie es Albin verlangt hatte.
„Safar ma zaly bayadi. Al qamyr lura tifai y kataba.“
Gleich danach setzte sie ein verwirrtes Gesicht auf.
Sie wandte sich an Schicksal. „Sagen Sie mal, sollte ich nicht besser die Flaschengeistkaraffe mitnehmen?“
„Auf keinen Fall“, rief Albin.
„Ich halte es für einen guten Gedanken.“ Schicksal ignorierte Albins Einwurf. „Hol sie schnell, ehe sich die Pforte öffnet.“
Susanna nickte. Hoffentlich hatte Patrick alles mitbekommen. Um sicherzugehen, sprach sie besonders laut, als sie die Teekisten passierte: „Dann laufe ich jetzt nach oben. Meine Tasse lasse ich hier stehen, den Rest muss ich ja nicht trinken. Viel zu viel von dem Zeug, das reicht ja noch für einen Zweiten.“ Polternd stellte sie die Tasse auf der zweitgrößten Teekiste ab. Dann rannte sie hinauf in die Wohnung.
Zwei Minuten später kehrte sie zurück. Sie hatte Glück. Die Männer standen mit dem Rücken zu ihr. Wenn sie Patrick befreien wollte, musste sie es jetzt tun. Es quietschte leise, als Susanna den Deckel der Teekiste öffnete. „Pst.“ Sie legte einen Finger an die Lippen.
Während Patrick aus der Kiste kletterte, fiel ihr Blick auf die Teetasse. Ein Glück, sie war leer. Sie sah auf die Uhr. Noch eine Minute. Sie machte sich so groß, wie es ging und trat auf die Tür zu. Gebückt schlich Patrick hinter ihr her. So schlüpften sie in das Zimmer.
„ Was ...?“, setzte Schicksal an, als sein Blick auf seinen Neffen fiel.
„Er kommt mit.“ Susanna ließ ihn nicht zu Wort kommen.
„Ich habe es verboten.“
„Tja, hat nicht funktioniert.“ Patrick klang patzig.
Albin zog Susanna in die Arme. Sie hörte, wie er schluckte. Einen Moment lang hielt er sie an sich gedrückt, dann rückte er von ihr ab und sah ihr ins Gesicht.
„Pass gut auf dich auf. Denk daran, du bist alles, was ich habe.“ Tränen glänzten in seinen Augen.
„Ich wünschte, du kämest mit.“ So fest Susanna konnte, drückte sie seine Hand.
Ein Windzug fegte durch den Teeladen und ließ die Tür des Lagerraums mit einem lauten Knall zuschlagen. Susanna zuckte zusammen.
„Es ist so weit.“ Albin wandte sich um. Noch immer hielt er Susannas Hand, es schien, als wollte er sie nie wieder loslassen.
„Was muss ich tun?“, fragte sie.
„Mach sie einfach auf.“ Er deutete auf die Türklinke.
Nur ein Schritt trennte Susanna von der Tür. Sie zögerte. Wollte sie das wirklich tun? Einerseits spürte sie das Kribbeln der Vorfreude. Andererseits presste ihr die Angst den Atem aus der Lunge. Sie hustete.
„Wir müssen los.“ Schicksals Stimme klang drängend.
„Lass ihr die Zeit, die sie braucht“, fuhr Patrick seinen Onkel an.
„Du hältst dich raus. Schlimm genug, dass du mir nicht gehorchst.“
„Hört auf“, schimpfte Susanna. Sie nahm einen tiefen Atemzug, trat entschlossen auf die Tür zu und öffnete sie. Heißer Wind schlug ihr entgegen. Erschrocken trat sie einen Schritt zurück. Auf der anderen Seite des Durchgangs lag die dunkelste Dunkelheit, die Susanna je gesehen hatte, undurchdringliche Schwärze.
„Ich dachte in der Wüste herrschen Nachts Minustemperaturen?“ fragte sie.
„Nicht in Kis-Ba-Shahid. Dort gelten andere Naturgesetze.“
„Und warum ist es so düster?“
„Es gibt dort weniger Lichter. Hier erhellt die Beleuchtung der Städte die Nacht. In Kis-Ba-Shahid gibt es nur den Mond und die Sterne.“
„Ihr müsst gehen“, sagte Albin. „Es wird Zeit.“
Susanna drehte sich zu ihrem Vater um. Sie schniefte, eine Träne löste sich aus ihrem Augenwinkel. Noch einmal, nur für eine Sekunde, ließ sie sich in seine Arme fallen. Dann löste sie sich von ihm.
Sie trat neben Patrick. Zögernd tastete sie nach seiner Hand. Dicht beieinander standen sie da, nur einen Schritt von Kis-Ba-Shahid entfernt. Sie sahen sich an. Mit einer winzigen Bewegung des Kopfes nickte Susanna und Patrick erwiderte diese Geste. Dann stapften sie los. Hand in Hand durchquerten sie den Türrahmen.
Drückende Hitze empfing sie. Sand knirschte unter ihren Füßen. Schicksal trat zu ihnen. Hinter ihm fiel die Tür klickend ins Schloss. Susanna wandte sich um. Da, wo noch Augenblicke zuvor eine Tür gewesen war, war nichts mehr zu sehen - nichts als Schwärze und in der Ferne
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