Am dreizehnten Tag: Die Bestimmung (German Edition)
herausfinden, was mit meiner Mutter passiert ist. Außerdem habe ich Verwandtschaft dort.“
„Ich vielleicht nicht? Was ist mit Übel und Glück?“ Er schnaubte. „Pass auf, ich lass dich nicht allein gehen, egal, was Onkel Samuel sagt.“ Er überlegte einen Moment. „Er darf mich nur nicht erwischen. Meinst du, ich kann mich im Teeladen verstecken?“
„So einfach ist das nicht. Klar kann ich dir den Schlüssel für den Laden geben. Aber wie geht es dann weiter? Ich kenne den Teeladen seit meiner Kindheit und weiß den Weg nicht.“
„Uns fällt schon was ein. Wo kann ich mich denn verstecken?“
„Am besten in einer der Teekisten. Die stehen gleich neben der Tür. In die größte müsstest du hineinpassen.“
„Pst.“ Patrick legte einen Finger an die Lippen.
Die Wohnzimmertür öffnete sich. Schicksal und Albin traten ein. Susanna betrachtete ihren Vater. Sein Gesichtsausdruck ließ keine Deutung zu. Mist , dachte sie. Wenn sie einen anderen Weg nach Kis-Ba-Shahid nehmen müssten, wäre es sinnlos, Patrick im Laden zu verstecken. Sie überlegte. Dann trat sie an Albin heran.
„Bitte, bitte. Erlaube mir, nach Kis-Ba-Shahid zu reisen, Papa.“ Sie senkte den Kopf und klimperte mit den Wimpern. „Bitte, Papa“, wiederholte sie flehend.
„Hm“, brummelte Albin. Er murmelte ein paar Worte, die Susanna nicht verstand.
„Bitte, bitte“, sagte sie noch einmal.
„ Du gibst ja doch keine Ruhe. Aber nur unter Protest.“
„Wir gehen gemeinsam, okay?“
„Das kommt nicht infrage.“
Beinahe hätte Susanna nachgefragt, warum er so schroff reagierte. Aber in seiner Stimme lag so viel Entschlossenheit, dass sie den Mund wieder schloss.
„Schade“, flüstert sie. Sie griff nach der Hand ihres Vaters. „ Heißt das, du erlaubst es mir und hilfst uns?“
Als er nickte, bildeten Albins Lippen einen Strich. Susanna atmete auf.
„Habt ihr euch verabschiedet?“, fragte Schicksal. „Es wird Zeit für dich, Patrick.“
„Ich bringe ihn zur Tür“, sagte Susanna. Sie ergriff Patricks Hand. „Komm mit.“ Sorgfältig schloss sie die Wohnzimmertür hinter sich.
„Okay“, flüsterte sie und holte einen Schlüsselbund aus der Kommode. „Der hier ist für die Eingangstür.“ Sie hielt einen eckigen Sicherheitsschlüssel hoch. „Vergiss nicht, hinter dir wieder abzuschließen.“
„Ich bin doch nicht blöd“, flüsterte Patrick zurück.
„Bis später.“ Sie zögerte. „Ich habe echt Schiss.“
„Sie erwischen uns schon nicht.“
„Das meine ich nicht. Ich habe Schiss vor dem, was uns in Kis-Ba-Shahid erwartet.“
„Ich bin ja bei dir.“ Er ging einen Schritt auf sie zu und hob die Arme. Susanna stockte der Atem. Würde er sie umarmen? Patrick hielt inne.
„Bis später“, sagte er während er sich umdrehte, öffnete die Tür und verließ die Wohnung. Susanna blieb im Türrahmen stehen. Sie sah ihm nach, als er die Treppen hinunter stieg. Verlegen knabberte sie an ihrer Unterlippe, bis sie Blut schmeckte und sich losriss. Zugleich fiel tief unter ihr die Haustür ins Schloss.
14. Die Pforte
D ie Geschäfte in der Ruelle-Gasse lagen im Dunkeln. Längst hatten die Besitzer die Türen verschlossen, die Markisen eingerollt und die Lichter gelöscht. Ein sanfter Wind ließ einen Fensterladen klappern. Die kleine Straße lag menschenleer da.
Aus den erleuchteten Wohnstuben fiel warmes Licht auf den Gehsteig. In der Dachgeschosswohnung der Ruelle-Gasse 13 saßen Susanna, Albin und Schicksal in der Küche beisammen und aßen zu Abend.
„Ich muss noch packen“, sagte Susanna. Sie kaute mit wenig Appetit auf einem Stück Brot herum.
„Das ist unnötig. Deine Kleidung wäre sowieso unpassend und außerdem bieten sich in Kis-Ba-Shahid andere Möglichkeiten.“ Schicksal grinste. „Du wirst sehen.“
Albin schwieg. Das Essen zog sich endlos hin. Endlich legte Albin das Besteck zur Seite und erhob sich.
„Gehen wir“, sagte er tonlos.
Sie stiegen die Treppen hinunter und verließen das Haus. Der Teeladen lag still in der Dunkelheit da, von Patrick keine Spur. Susanna atmete auf.
Albin entsperrte das Schloss. Die Türglocke klingelte leise, als sie das Geschäft betraten. Im Inneren war es düster. Das Licht, das von der Laterne hineinschien, reichte nicht aus, den Raum zu erleuchten. Die Tür zum Hinterzimmer ließ sich nur erahnen.
Susanna schlenderte an den Teekisten vorüber. Wie zufällig stieß sie mit der Fußspitze gegen die größte
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