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Am Ende der Nacht

Am Ende der Nacht

Titel: Am Ende der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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vorkommen, daß eine so starke und direkte Frau wie Matty Wildress
dieses Thema nie angesprochen haben sollte. Aber bei mir war sie an der
Richtigen: Ich hatte mich ganz ähnlich verhalten, als Hy jahrelang stur
geschwiegen hatte, was die häßlichen Dinge anging, die er als Charterpilot in
Südostasien gesehen und getan hatte.
    Matty setzte hinzu: »Ich dachte, wenn
ich ihn in Ruhe lasse, wird er’s mir irgendwann erzählen.«
    Dasselbe hatte ich auch gedacht, und
tatsächlich hatte sich Hy schließlich alles von der Seele geredet. Aber John
Seabrook hatte Matty wortlos verlassen.
    Ich fragte: »Wo war Zach, als sein
Vater verschwand?«
    »Bei Karla und Wes Payne, unseren Nachbarn.
Wes war Johns Partner. Das ist auch noch was, was mir sagt, daß er vorhatte
wegzugehen. Er hatte schon ein paar Tage vorher mit den Paynes ausgemacht, daß
Zach in dieser Nacht bei ihnen schlafen sollte.«
    »Hat Zach irgendeine Vermutung, wohin
sein Vater gegangen sein könnte — oder warum er weggegangen ist?«
    »Er ist genauso ratlos wie ich. Und
verletzt.«
    »Sie selbst sind auch ganz schön
verletzt. Und Sie haben Angst, da in etwas reingeraten zu sein, was Sie nicht
im Griff haben.« Sie hatte wieder aus dem Fenster geguckt, während ich die
Kurve flog. Jetzt fuhr ihr Kopf herum, und ihre Nasenflügel waren geweitet.
»Hey, McCone, das wird mir verdammt noch mal zu persönlich. Hören Sie auf!«
    Endlich kam wieder eine Spur von der
alten Matty durch — der Frau, die die Schläge, die das Leben austeilte, nicht
einfach passiv hinnahm, die sich wehrte. Aber die alte Matty neigte auch dazu,
verschlossen, stachlig und leicht beleidigt zu sein. Sie würde lockerlassen
müssen, wenn ich für sie arbeiten sollte.
    Statt aufzuhören, schwenkte ich aus der
Kurve heraus und begann, den Knüppel anzuziehen.
    »Was zum Teufel haben Sie vor?« fragte
sie.
    Ich zog weiter an, zwang die Nase der
Cessna immer höher. »McCone!«
    Ich grinste sie an. Zog weiter an, bis
ich spürte, wie die Steuerung weich wurde. Die Überzieh-Warnanlage heulte, die
Maschine erzitterte, und nichts war mehr unter den Tragflächen. Die Cessna
schmierte nach links ab und fiel vom Himmel wie ein Stein.
    Und ich nahm Hände und Füße von den
Bedienungselementen. Matty packte mich am Arm und schrie: »Ja!«
    Ich faltete die Hände im Schoß, während
die Cessna kopfüber hinabstürzte. Hügel und Weiden sausten an den Scheiben
vorbei. Dann, ganz langsam, richtete die Maschine sich wieder auf. Die Nase kam
hoch, und das Flugzeug begann ganz ohne mein Zutun wieder zu fliegen.
    Jetzt lachte Matty. »Verflixt, Ihre
Angst vor Stalls haben Sie jedenfalls überwunden!«
    »Stimmt.« Ich faßte den Knüppel wieder
und richtete die Maschine aus.
    Sie war jetzt plötzlich ernst und
musterte mein Gesicht. »Sie haben sich verändert, McCone.«
    »Allerdings. Und Sie, was ist mit
Ihnen? Sie haben es immer gehaßt, über persönliche Dinge zu reden. Es ist an
der Zeit, daß Sie sich auch ändern.«

2
    Die ordentlichen Reihen mit
Douglastannen begannen jenseits des Straßengrabens, zogen sich den Hang hinauf,
gabelten sich wie ein Fluß vor einem weißen Farmhaus und vereinigten sich
dahinter wieder. Ab und zu streiften Äste Mattys Van, als wir die holprige
Zufahrt entlangfuhren. Selbst bei geschlossenen Fenstern war der Tannenduft
stark, und er rief in mir eine kindliche Erregung wach. Erstaunt stellte ich
fest, daß es nur noch fünf Wochen bis Weihnachten waren.
    »Lassen Sie mich noch mal
rekapitulieren, was in Ihrer Geburtstagskarte stand«, sagte ich. »Sie haben
John letzten September auf dem Flugplatz kennengelernt, an dem Tag, an dem die
Pilotenvereinigung Rundflüge für karitative Zwecke veranstaltet hat.«
    »Richtig. Zach hatte es in der Zeitung
gelesen und John angebettelt, ihn auch mal mitfliegen zu lassen. Ich habe ihn
mit raufgenommen, in der alten Cessna 150, auf der Sie gelernt haben.«
    »John wollte nicht mit?«
    »Du lieber Himmel, nein. Er haßt das
Fliegen, sagt, er würde nie freiwillig einen Fuß in eine Sportmaschine setzen.«
Sie parkte den Van unter einem Apfelbaum in dem verwilderten Vorgarten, wo Laub
und Fallobst den Boden bedeckten. Das Haus war einstöckig, mit einem
Mansardenfenster und einer breiten umlaufenden Veranda. Von den vorstehenden
Dachbalken hingen spinnenbeinige Fuchsien.
    »Hübsches Plätzchen«, sagte ich.
    »Danke. Im Garten wäre einiges an
Arbeit fällig, und das Haus war ziemlich runtergekommen, als ich eingezogen
bin. John

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