014 - Die Falle des Zyklopen
An hohen kirchlichen Festtagen beteten die Menschen, die Bestie aus dem Todessumpf möge nicht mehr aktiv werden. Von Jahr zu Jahr wurde diese Bitte erneuert.
Aber es gab auch andere.
Elemente, die dem Bösen zugetan waren, denen es ein Dorn im Auge war, daß Ruhe und Frieden eingekehrt waren. Wenn die Gläubigen zu ihrem Gott beteten, gingen die andern hin und beteten zu Asmodis. Sie flehten ihn an, das Böse Wiederaufleben und sie daran teilhaben zu lassen.
Immer wieder zogen sie in finsteren Nächten zum Todesmoor, um die Mächte der Finsternis zu beschwören.
Heute war wieder eine solche Nacht. Bleiern lastete sie über dem schwarzen Moor, das zu atmen schien. Die wenigen Personen, die sich zu einer geheimen Zyklopen-Sekte zusammengefunden hatten, steckten ihre schwarzmagischen Fackeln in den weichen Boden. Es roch nach Fäulnis und Moder. Der jahrtausendealte Brei glänzte stumpf, und niemand wußte, wie viele Menschen es schon verschlungen hatte.
Von den blakenden Fackeln krochen dünne Rauchschwaden über die Sumpfoberfläche. Wie Geisterfinger tasteten sie das düstere Moor ab. Lautlos betupften sie den welligen Brei, der hin und wieder eine Blase gebar, die mit einem gespenstischen Gluckern zerplatzte. Die Legenden schienen zu stimmen, die behaupteten, daß sich unseliges Leben im Todesmoor befand.
Geisterhafte Schatten tanzten auf den Gesichtern der Männer und Frauen, die sich eingefunden hatten, um ihr schwarzes Gebet zu verrichten. Sie wußten, daß die Mächte der Finsternis sie eines Tages erhören würden. Dann gehörten sie der schwarzen Macht an, und ihr Herr war ein mächtiger Zyklop, dem sie bedingungslos ergeben sein würden.
Sie fühlten sich als Auserwählte.
Der harte Kern der Sekte, den sie bildeten, würde sich wie ein Krebsgeschwür vergrößern, wenn erst einmal die Mächte der Finsternis aktiv geworden waren. Die Zyklopen-Sekte würde sich eines großen Zulaufs erfreuen, und ihre Mitglieder würden die Lehren der Hölle ins Land tragen.
Am Rande des Todesmoors sanken sie auf die Knie, faßten sich bei den Händen und riefen mit fester Stimme, was ihnen ihr Wortführer vorsagte. Hallend zitterten die Worte über den Sumpf.
»Herr der Finsternis!« sagte der Sektenführer.
»Herr der Finsternis!« schallte es aus den Kehlen der anderen.
»Bezwinger des Lichts!«
»Bezwinger des Lichts…«
»Erhöre unser Gebet!«
»Erhöre unser Gebet…«
Der Sektenführer sprach mit erhobener Stimme weiter. Er pries das Böse, um das sich jeder der Anwesenden mehrfach verdient gemacht hatte, und er ließ nicht unerwähnt, daß die Mitglieder der Zyklopen-Sekte würdig waren, ein Bündnis mit der finsteren Macht zu schließen.
Vom Todesmoor waren einst schreckliche Geschehnisse ausgegangen. Der Satans-Zyklop hatte gewütet, und diese Zeit sollte wiederauferstehen. Mit all ihren Greueln und Schrecknissen.
Die knienden Sektenmitglieder beendeten ihr schwarzes Gebet und ließen einige Zeit verstreichen. Es lag beim Bösen, zu reagieren.
Wenn es nicht wollte, konnte kein Mensch es zwingen.
Wie stets, wenn es mit dem Ruf in die Finsternis nicht geklappt hatte, war der Anführer der Zyklopen-Sekte enttäuscht. »Wieder nichts«, brummte er. »Und dabei dachte ich, daß wir heute nacht Glück haben könnten, denn man nennt diese Nacht die Teufelsnacht. In dieser Zeit ist das Böse den Menschen gegenüber besonders aufgeschlossen.«
Er wollte sich erheben.
Da machte ihn jemand auf etwas Sonderbares aufmerksam.
Ein Irrlicht geisterte über das Todesmoor. Es kam von nirgendwoher, entstand aus sich selbst, huschte auf das Zentrum des Sumpfs zu und blieb dann über der glänzenden Oberfläche in der Luft hängen.
Faustgroß war es zunächst nur, aber es wuchs. Zuerst in die Breite, dann nach oben. Dämpfe wallten aus ihm hervor, grünbraun. Sie wirbelten hoch und ließen in ihrer Mitte eine grauenerregende Gestalt wachsen.
Gespannt verfolgten die Mitglieder der Zyklopen-Sekte, was sich vor ihren Augen abspielte.
Bildete sich dort ein Zyklop? Das blutrünstige Ungeheuer von einst?
Die Schwaden und Dämpfe krochen an der Gestalt ruhelos auf und ab wie die Hände eines Bildhauers, der seinem Kunstwerk den letzten Schliff gibt. Die Sektierer vernahmen ein leises Prasseln, so, als ob die Gestalt über dem Moor brennen würde.
»Endlich«, sagte der Sektenführer glücklich. »Freunde, endlich wurde unser schwarzes Gebet erhört! Wir haben unser Ziel erreicht! Die Macht wird fortan unser
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