Am Ende Der Straße: Roman
Kiefer. Ich schmeckte Blut.
»Ich zähle jetzt bis eins«, sagte Russ mit ruhiger Stimme. »Zwei oder drei kriegst du nicht mehr.«
Mein Blick huschte zu der Waffe, dann wieder zu Christys Gesicht. Und einfach so war ich wieder ich selbst. Ich ließ sie los und starrte fassungslos auf meine Hände, als würden sie jemand anders gehören. Christy sackte auf dem Boden zusammen und krümmte sich hustend und würgend. Einen Moment später musste sie sich übergeben. Es war ein schreckliches Geräusch, rau und abgehackt. Russ ließ das Gewehr nicht sinken, sondern drückte es mir weiter ins Gesicht.
»Russ …«
»Halt’s Maul, Robbie, halt bloß dein Maul. Was sollte das, Mann? Du warst drauf und dran, deine Freundin umzubringen. Ist es jetzt schon so weit gekommen?«
»Das war nicht ich«, erklärte ich. »Das war die Dunkelheit. «
»Ich weiß, dass das die Dunkelheit war. Aber woher soll ich wissen, dass du jetzt wieder okay bist? Woher soll ich wissen, dass du es nicht sofort wieder versuchst, wenn ich das Gewehr runternehme?«
»Ich bin jetzt wieder okay. Ernsthaft. Ich bin’s. Christy? Bist du okay, Baby?«
Ihre Antwort bestand nur aus einem Würgen.
»Jesus«, keuchte Cranston. »Ich spüre sie hinten in meinem Kopf. Drängt auf mich ein. Sie will, dass ich… gewisse Dinge tue. Was du da gemacht hast, Robbie – das ist nicht richtig.«
»Das war nicht ich, Cranston.«
»Ich weiß. Wir alle wissen das. Und das bin auch nicht
ich, der gerade am liebsten zu dir rüberrennen und dir mit den Daumen die Augen rausdrücken würde, Mann. Das ist dieser Mist da draußen. Wir müssen hier weg!«
»Christy?« Ich ging neben ihr in die Knie und berührte sie so vorsichtig an der Schulter, als wäre sie aus Glas. Wenn man bedachte, was ich ihr noch vor wenigen Sekunden angetan hatte, wirkte diese zarte Geste absurd. »Süße? Bist du okay?«
Vollkommen unerwartet verpasste sie mir eine Ohrfeige. Ihr Gesicht glänzte im Licht der Taschenlampe – von Tränen, Schweiß und Erbrochenem.
»Nimm deine verfluchten Griffel von mir, du krankes Arschloch!«
Ihr Schrei war heiser, ihre Stimme klang anders als sonst.
Ich hob beschwichtigend die Hände. »Es tut mir leid, Baby. Es tut mir unendlich leid, verdammt. Das war nicht ich. In der einen Minute haben wir uns noch gestritten, und in der nächsten … Es tut mir leid.«
Sie holte zitternd Luft und begann zu schluchzen.
»Ich weiß«, flüsterte sie und schüttelte den Kopf. »Ich weiß. Während wir gestritten haben, habe ich es auch gespürt.«
»Wie wir alle«, stimmte Russ ihr zu. »Ich musste mich extrem am Riemen reißen, um dich nicht zu erschießen, Robbie.«
»Was zur Hölle sollen wir tun?« Ich sah sie alle der Reihe nach an. Vorne im Laden bellten, jaulten und winselten die Tiere. »Ich meine, wie sollen wir dagegen ankämpfen? Wir sind dabei, den Verstand zu verlieren.«
»Wir müssen uns von jetzt an so weit und oft wie möglich aus dem Weg gehen«, beschloss Russ. »Uns von allen und jedem fernhalten.«
»Zu viel negative Energie, Mann«, fügte Cranston hinzu. »Negative Emotionen sind nicht gut. Die bringen nur schlechtes Karma.«
»Ja, ich würde sagen, das hier bringt echt beschissenes Karma, Cranston«, nickte ich.
Christy wischte sich mit dem Saum ihres Shirts die Augen ab. »Dann halten wir uns also einfach von einander fern?«
Russ nickte. »Von allen. Niemand ist mehr sicher. Es reicht schon irgendeine Kleinigkeit, eine eingebildete Kränkung oder Beleidigung, um uns durchdrehen zu lassen. Das können wir nicht riskieren. Wir werden zusammen zurückgehen, aber sobald wir unser Haus erreichen, sollte jeder für eine Weile in seiner eigenen Wohnung bleiben, finde ich. Und wenn an eurer Stelle, würde ich mir überlegen, ob es nicht besser ist, zumindest für ein paar Tage getrennt zu schlafen.«
Bevor wir aufbrachen, befreiten wir die eingesperrten Tiere. Einige waren so krank oder schwach, dass sie sich nicht mehr bewegen konnten. Die setzten wir auf den Boden und bemühten uns, ihnen Plätze zu suchen, wo sie einigermaßen geschützt waren – unter Tischen, Theken, Regalen –, bis sie die Kraft oder den Willen aufbringen konnten, sich wieder zu bewegen. Andere rasten aus der offenen Tür oder liefen wild im Laden herum. Wir ließen ausnahmslos alle frei – die Hunde, die Kätzchen, die Hamster, die verschiedenen Mäusearten, die Ratten,
die Schlangen, die Frösche und die Echsen. Wir befreiten sogar die Einsiedlerkrebse und
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