Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens
in raschem Wechsel gebracht. Die Natur explodierte.
West-Yorkshire. Brontë-Land. Er grinste. Unglaublich, daß es ihn hierher verschlagen hatte. Daß er vor einem Haus stand und es haben wollte. Er, der Londoner war mit Leib und Seele. Der sich nie hatte vorstellen können, irgendwo anders zu leben als dort, höchstens in einer anderen Metropole: New York oder Paris oder Madrid. In diesen drei Städten war er in bestimmten Lebensphasen zu Hause gewesen, hatte sich wohl gefühlt und sich dennoch nach London gesehnt, ein bißchen wenigstens, tief in seinem Herzen.
Und jetzt, mit einundvierzig Jahren, stand er in Stanbury, dem Dorf, das auf kaum einer Karte der Welt verzeichnet war, und verliebte sich in ein Haus und in die Vorstellung eines Lebensgefühls, von dem er nie gewußt hatte, daß es als Möglichkeit in ihm überhaupt existierte.
Er versuchte, durch eines der Fenster in das Innere des Hauses zu spähen, aber er konnte nichts erkennen; die schweren Vorhänge innen waren zugezogen. Tatsächlich spielte er bereits mit dem Gedanken, sich auf irgendeine Weise Zutritt zu verschaffen - vielleicht schloß eines der Kellerfenster nicht richtig, oder es gab eine Seitentür, deren Schloß leicht aufzubrechen war -, aber da hörte er, wie sich ein Auto über die Auffahrt näherte und auf der anderen Seite vor dem Hauptportal bremste. Rasch ging er um das Haus herum und sah eine ältliche Frau, die aus einem ziemlich klapprigen, kleinen Auto stieg. Sie trug eine geblümte Kittelschürze und hatte einen Korb mit undefinierbaren Utensilien in der Hand, und er vermutete, daß es sich um die Putzfrau handelte.
Er ging auf sie zu, sie erschrak sichtlich, musterte ihn dann mißtrauisch.
»Ja?« fragte sie, so als habe er etwas gesagt.
Phillip lächelte. Er wußte, daß er charmant und vertrauenerweckend wirken konnte.
»Wie gut, daß Sie kommen«, sagte er. »Sie machen hier sauber,
nicht wahr? Ich habe schon mit Ihrer Schwester gesprochen ...«
Ihre Züge entspannten sich. Der Umstand, daß er mit ihrer Schwester bekannt war, ließ ihn offenbar sofort unbedenklicher erscheinen.
»Ich bin Phillip Bowen«, stellte er sich vor und streckte ihr die Hand hin, »ein Verwandter von Patricia Roth.«
»Ach? Ich wußte gar nicht, daß Mrs. Roth Verwandte in England hat.« Sie ergriff seine Hand. »Ich bin Mrs. Collins. Ich wollte jetzt das Haus putzen.« Sie wies auf den Korb, in dem sich, wie Phillip jetzt erkannte, alle möglichen Reinigungsmittel befanden. »Die Herrschaften kommen ja übermorgen.«
»Ich bin wirklich froh, daß ich Sie hier gerade treffe. Patricia hat mich schon vor Wochen gebeten, nach der Heizung zu sehen ... Irgend etwas hat da wohl nicht gestimmt während des letzten Urlaubs, und im April kann es ja durchaus sein, daß man sie noch mal braucht ...« Er lächelte wieder, jungenhaft und ein wenig schuldbewußt. Zu der langen Reihe von Versuchen, sich eine berufliche Existenz aufzubauen, gehörte auch der Besuch einer Schauspielschule, und obwohl er es natürlich auch dort nicht bis zu einem Abschluß geschafft hatte, war ihm von den Lehrern doch stets Talent bescheinigt worden - besonders was die Wandlungsfähigkeit seines Gesichtsausdrucks anging. »Aber, wie das so ist, ich habe es wieder einmal bis zum letzten Moment hinausgeschoben …«
Jetzt erwiderte sie sein Lächeln. »Ich kenne das. Man denkt immer, man hat noch so viel Zeit, und dann muß man sich plötzlich ganz furchtbar abhetzen. Sie sind Heizungsmechaniker?«
»Nein, nein. Aber ich verstehe ein bißchen was davon. Jedenfalls glaubt Patricia das!« Er wußte, daß er genau die schlichte Gesprächsebene getroffen hatte, die eine Frau wie Mrs. Collins mochte. »Das Problem ist nun ..., ich finde den Schlüssel nicht! Ich habe meine Taschen umgestülpt, ich habe mein Auto durchsucht - nichts!«
Mrs. Collins zog sich fast unmerklich wieder ein kleines Stück zurück. »Besitzen Sie denn einen Schlüssel?«
»Ja. Aber ich habe ihn noch nie benutzt. Ich dachte, er ist in meinem Wagen. Verflixt!« Er kratzte sich am Kopf. »Patricia wird ziemlich sauer auf mich sein! Wenn es plötzlich kalt wird, und die Heizung funktioniert nicht …«
»Sie möchten, daß ich Sie jetzt mit hineinnehme?« folgerte Mrs. Collins, und er hätte fast bravo! gesagt.
»Das wäre wirklich nett von Ihnen.«
» Ja ... ich weiß nicht …«
»Sie sind doch die ganze Zeit im Haus. Ich glaube kaum, daß es mir gelingt, Wertgegenstände an Ihnen vorbei
Weitere Kostenlose Bücher