Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens
für einen Moment blieb am anderen Ende der Leitung alles still.
Dann sagte sie irgend etwas, und Mrs. Collins starrte entsetzt
zu Phillip hinüber. »Wie?« fragte sie. »Sie haben keinen Verwandten in England?«
Phillip fand, daß das Gequake aus dem Hörer jetzt etwas hysterisch klang.
»Die Heizung ist gar nicht kaputt?« wiederholte Mrs. Collins. In ihre Augen war ein nervöses Flackern getreten. Offenbar erwartete sie, niedergeschlagen, erstochen oder vergewaltigt zu werden. Dabei, dachte Phillip, der schon fast die Haustür erreicht hatte, müßte sie eigentlich merken, daß ich nur wegwill.
Sie ließ den Hörer sinken, aus dem noch immer Patricias Stimme drang. »Wer sind Sie?« fragte sie.
Er hatte seine Hand auf dem Türgriff und lächelte Mrs. Collins freundlich an. »Ich bin verwandt mit Mrs. Roth«, antwortete er. »Sie weiß das bloß noch nicht.«
Er ließ sie mit ihrem Staunen allein und trat hinaus in den warmen Frühlingstag.
Er hatte sich ein erstes Bild gemacht.
2
Ricardas Tagebuch
13. April . Morgen, am Montag, fahre ich zu Papa und reise dann mit ihm nach Stanbury. Niemand weiß, wie schrecklich ich ihn vermisse. Auch Mama nicht, denn sie würde es sicher ganz unglücklich machen, weil sie dann denken müßte, ich bin nicht gerne mit ihr zusammen. Als sie damals wegging von Papa, hat sie mich gefragt, bei wem ich lieber wohnen möchte, und sie hat so traurig und einsam ausgesehen, daß ich gesagt habe: Bei dir, Mama. Aber das hat nicht gestimmt. Innerlich habe ich die ganze Zeit über gerufen: Bei Papa, bei Papa, bei Papa! Aber das hat
Mama natürlich nicht gehört, und ich habe ein so schlechtes Gewissen gehabt, daß ich sie umarmt und mich an sie geklammert habe. Und später hat sie mich dann nicht noch mal gefragt.
Es ist schon okay, mit Mama zu leben, aber Papa ist einfach etwas ganz Besonderes, und niemand auf der Welt kann ihn ersetzen. Ich würde alles dafür geben, wenn ich immer mit ihm zusammensein könnte. Aber nur, wenn er nicht diese gräßliche Frau geheiratet hätte.
Ich hasse sie, ich hasse sie, ich hasse sie!
Sie ist echt so ätzend, das gibt es gar nicht! Jünger als Mama, aber ich finde sie nicht halb so hübsch! Beim Autofahren trägt sie eine Brille, und dann sieht sie aus wie eine Lehrerin. Sie ist Tierärztin! Papa hat damals versucht, mich damit einzuwickeln.
»Sie ist Tierärztin, Ricarda, stell dir das nur vor! Tierärztin wolltest du doch auch immer werden später! Jessica kann dir ganz viel darüber erzählen. Und sicher nimmt sie dich mal mit in ihre Praxis!«
Danke, verzichte! Papa merkt auch einfach nie, daß ich ein bißchen älter geworden bin! Mit neun oder zehn wollte ich Tierärztin werden. Alle kleinen Mädchen wollen das, auch Sophie und Diane jetzt. Typisch. Ich weiß gar nicht, was ich werden will. Am besten nichts. Einfach leben. Mich kennenlernen, die Welt kennenlernen. Und alles vergessen. Die ganze Scheiße mit meinen Eltern. Können es sich Leute nicht vorher überlegen, ob sie zusammenbleiben wollen oder nicht? Also, bevor sie unschuldige Kinder in die Welt setzen? Es müßte ein Gesetz geben, das es Menschen verbietet, sich scheiden zu lassen, wenn sie Kinder haben. Erst wenn die Kinder fertig sind mit der Schule, dann dürfen die Eltern sich trennen. Und vielleicht würden sich viele bis dahin sowieso wieder vertragen haben.
Als Mama mir sagte, daß Papa heiratet, habe ich gesagt, ich fahre nie wieder mit ihm nach Stanbury. Und ich will ihn überhaupt nie wiedersehen.
Mama hat mich nicht ernst genommen, was sie sowieso nie
tut, aber ich habe es dann auch nicht geschafft. Papa nie mehr wiederzusehen, das würde so weh tun, das könnte ich nicht aushalten. Das Schlimme ist nur, daß J. immer dabei ist. Sie tut so scheißfreundlich und verständnisvoll, und wahrscheinlich hätte sie es gern, wenn ich ihr meine Probleme anvertrauen würde oder so, aber da kann sie ewig warten. Da würde ich noch eher Evelin was erzählen, oder Patricia. Na ja, Patricia vielleicht nicht. Die ist kalt wie ein toter Fisch und lächelt immer wie eine Zahnpastareklame. Aber Evelin ist echt nett. Ein bißchen doof, aber sie hat es auch sauschwer.
Am liebsten würde ich einfach mit Papa mal ganz allein Ferien machen. Ohne die anderen alle. Nur er und ich. Ich würde gerne mit ihm in einem Wohnmobil durch Kanada fahren. Das wäre mein Traum. Abends würden wir Lagerfeuer machen und Marshmallows rösten und die Sterne anschauen. Und am Tag würden wir
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