Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens
allerdings gar nicht verdiente, denn seine Wohnung in einer der schäbigsten Ecken Londons bestand nur aus einem einzigen Zimmer mit Kochnische, und wenn er schlafen wollte, mußte er das Sofa aufklappen und die Bettwäsche aus einem Schrank hervorkramen. Ein richtiges Bad hatte er überhaupt nicht, nur einen abgetrennten Verschlag unter der Dachschräge mit einer Dusche darin. Es gab eine Toilette im Treppenhaus, die er sich mit fünf anderen Parteien teilte. Ein Scheißleben, und nicht die kleinste Aussicht auf eine Verbesserung.
Doch. Eine ganz kleine. Jetzt schon.
Im nächsten Schlafzimmer, das gleich nebenan lag, stolperte er
geradezu über Patricia, denn sie strahlte ihn von mindestens zwei Dutzend Fotos an den Wänden und auf Tischen und Regalen an. Nie alleine, stets war sie mit der kompletten Familie abgebildet: eine auffallend kleine, zarte Frau, sehr blond und sehr attraktiv, meist in die Arme eines großen, gutaussehenden Mannes geschmiegt, und daneben zwei kleine Mädchen, so hübsch und so blond wie die Mutter, die fast immer auf Ponys saßen oder mit tapsigen Hundewelpen kuschelten. Phillip betrachtete jedes Bild eindringlich. Nach seinem Gefühl handelte es sich nicht um Schnappschüsse, sondern um sorgfältig arrangierte Szenen, die das Bild der perfekten, glücklichen Familie in einer Intensität transportierten, die unglaubwürdig wirkte.
Sie will etwas darstellen, dachte er, um jeden Preis. Seht her, wie glücklich wir sind! In welch heiler Welt wir leben! Der perfekte Mann. Die perfekte Frau. Die perfekten Kinder.
Wann stellt man etwas derart demonstrativ zur Schau? überlegte er. Meist dann, wenn irgend etwas daran nicht stimmt.
Er studierte noch einmal die Züge der Frau. Sie mußte Anfang dreißig sein und hatte sicher kein Facelifting hinter sich, aber ihr Lächeln zeigte die Starre, die operierten Gesichtern häufig zueigen ist. Da war kein Strahlen in ihren Augen. Nur eiserner Wille. Harte Disziplin.
Sie würde keine leichte Gegnerin sein.
Er besichtigte das dritte Schlafzimmer, das ihm jedoch kaum Aufschluß gab über seine Bewohner. Keine Fotos, keine Kleider im Schrank. Ein einsamer weißer Morgenmantel hing an einem Garderobenständer. Irgendwie wirkte das Zimmer kahl und nüchtern - bis auf die roten Vorhänge an den Fenstern, die dem Raum ein wenig Farbe verliehen. Als habe jemand alles entfernt, was es vielleicht einmal wohnlich gemacht hatte, und es bislang versäumt, neue Gegenstände der Behaglichkeit herbeizuschaffen. Er mußte an den Mann denken, der geschieden und noch nicht allzulange wieder neu verheiratet war. Er hätte gewettet, daß es dieses Paar war, das in dem Zimmer wohnte.
Er schickte sich gerade an, die Hühnerleiter hinaufzuklettern, um auch noch einen Blick in die Unterkünfte der Kinder zu werfen, da klingelte unten in der Halle das Telefon.
Verdammt, dachte er.
Mrs. Collins begab sich eiligen Schrittes zu dem Apparat. Er konnte ihre Schuhe auf den Fliesen klappern hören.
»Ja, hallo?« hörte er sie sagen, dann gleich darauf: »Oh, Mrs. Roth …, wie geht es Ihnen? ... Ja ... ja …«
Sie lauschte eine ganze Weile in den Telefonhörer, sagte nur gelegentlich »ja« oder »in Ordnung«. Die perfekte Patricia ratterte vermutlich eine ganze Salve von Anweisungen herunter, wie das Haus in Ordnung zu bringen war und wie sie alles vorzufinden wünschte. Dennoch würde Mrs. Collins irgendwann die Information loswerden, daß der hilfsbereite Cousin oder Onkel oder Neffe oder Was-auch-immer gerade dabei war, die Heizung zu reparieren. Und zu diesem Zeitpunkt sollte er möglichst schon das Weite gesucht haben.
Außerdem, fiel ihm ein, wartete Geraldine auf ihn. Seit über einer halben Stunde schon. Sie war zwar das Warten gewöhnt, aber er mußte ihre Geduld nicht überstrapazieren.
So gleichmütig wie möglich ging er die Treppe hinunter. Mrs. Collins sah ein wenig wie ein Opferlamm aus. Phillip konnte nicht verstehen, was Patricia sagte, aber er konnte ihre Stimme aus dem Telefon hören. Sie sprach laut und klar und schnell.
Ich bin fertig , bedeutete er Mrs. Collins lautlos, ich gehe jetzt!
Natürlich konnte es die Schlampe nicht lassen. Vielleicht war sie auch einfach froh, eine Gelegenheit zu finden, Patricias Redeschwall zu unterbrechen.
»Mrs. Roth«, sagte sie hastig, »äh ... Mrs. Roth, Ihr Verwandter ist übrigens gerade da. Wegen der Heizung. Ich habe ihn hereingelassen. Er hat schon alles repariert.«
Offenbar war Patricia sprachlos, denn
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