Am Ende ist da nur Freude
Fall gäbe es keine Erklärung für Doris’ Verblüffung, als sie Vida (von der sie glaubte, dass sie noch lebte) bei ihrem Vater sah.
Allmählich gewannen solche Geschichten die Aufmerksamkeit der medizinischen Welt. In nicht medizinischen Veröffentlichungen hingegen kam das Motiv des »Übergangs in die andere Welt« bei Sterbeszenen häufig vor. Und natürlich ist die Vorstellung, dass die Geburt nicht der Anfang und der Tod nicht das Ende ist, in religiösen Schriften seit je her zu finden – nur in der Medizin hatte sie noch keinen legitimen Platz gefunden.
Allerdings ist dieser 1924 erschienene Artikel, in dem Doris’ Vision auf dem Sterbebett geschildert wird, nicht der erste, in dem die Worte der Patientin eine unerklärliche Wendung nehmen. Hensleigh Wedgwood, der für die britische Zeitung The Spectator schrieb, erzählt eine ganz ähnliche Geschichte:
Ein junges Mädchen, mit dem mich enge verwandtschaftliche Beziehungen verbanden, hatte die Schwindsucht und lag im Sterben. Seit ein paar Tagen schon war sie in einem sehr schlechten Zustand und nahm nichts mehr wahr. Doch plötzlich öffnete sie die Augen, schaute nach oben und sprach langsam: »Susan – und Jane – und Ellen!« Sie erkannte ihre drei Schwestern, die bereits vor ihr an derselben Krankheit gestorben waren. Nach einer kurzen Pause sagte sie: »Und auch Edward!« Damit nannte sie ihren Bruder, der sich eigentlich in Indien bester Gesundheit erfreuen sollte. Sie zeigte sich überrascht, ihn in Gesellschaft ihrer Schwestern zu sehen. Danach sagte sie nichts mehr und starb wenig später. Zwei Wochen später kam ein
Brief aus Indien mit der Nachricht, dass Edward einen Unfall gehabt hatte und gestorben war.
In der Geschichtsschreibung wurden die Worte von Sterbenden oft für real genommen, doch die Medizin konnte sich einer solchen Haltung mehrheitlich nicht anschließen. Das weckte meine Neugier. Ich wollte herausfinden, wo (und von wem) Visionen auf dem Sterbebett anders gesehen wurden. Was ich erfuhr, ermutigte mich, und aufgrund der Regelmäßigkeit, mit der solche Visionen auftreten, wusste ich, dass ich weitersuchen sollte.
Der nächste Bereich, den ich auf meiner Entdeckungsreise erkunden wollte, galt der Welt des Rechts. Wie werden die Worte der Sterbenden dort wahrgenommen? Wäre es erhellend, Näheres darüber zu wissen, und könnte das neues Licht auf diese mysteriöse Frage werfen? Das wollte ich nun unbedingt herausfinden.
Kapitel 2
Den Worten der Sterbenden glauben
Ich lebe noch.
Letzte Worte von Daniel Webster
Jemand hat mir einmal gesagt, Reife sei der Zustand, in dem man akzeptiert, dass zwei sich widersprechende Ideen gleichzeitig existieren können. Zum Beispiel kann ehrenamtliches Engagement ein selbstloser und großzügiger Akt sein oder aber der Selbstbeweihräucherung dienen. Sehr interessant wird es dann, wenn zwei widersprüchliche Ideen zur selben Zeit im selben Menschen existieren, besonders wenn man dabei die Erkenntnis berücksichtigt, dass die Dinge sich unter Beobachtung verändern – wir wissen, dass alles von der Situation und vom Beobachter abhängt.
Visionen auf dem Sterbebett sind da keine Ausnahme. Im Kern sind es Aussagen Sterbender, denen man entweder glaubt oder nicht. Doch die meisten Visionen, die ein Mensch in seinen letzten Augenblicken erlebt, werden von denjenigen, die bei ihm sind, weder ernst genommen noch für glaubwürdig erachtet. Doch wenn wir uns Erklärungen
auf dem Sterbebett aus juristischer Sicht ansehen, kommen wir unter Umständen zu einer völlig anderen Sichtweise. Ich bin nun überhaupt kein Jurist, aber die Informationen, die ich von einem Universitätsprofessor und mehreren Anwälten erhalten konnte, sprechen auf faszinierende Weise für die Sterbenden. Ich lege sie Ihnen hier vor, damit Sie sie selbst beurteilen und sich so ein Bild davon machen können, auf welche Art und Weise wir auf die Worte eines Menschen kurz vor seinem Tod reagieren.
Betrachten wir jedoch zunächst die Geschichte von William, einem jungen Mann, mit dem ich aufgewachsen bin.
Williams Mutter Jennifer hatte anscheinend vor ihrem Tod keine Vision, sagte aber etwas, was noch viele Jahre ein Rätsel bleiben sollte. William war gerade erst zehn Jahre alt, als sich der Zustand seiner Mutter, die seit vielen Jahren gegen eine Nierenerkrankung ankämpfte, allmählich verschlechterte.
Williams Vater Jeffrey, ein starker, stoischer, einflussreicher Anwalt, erzog seinen Sohn ganz im Sinne
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