Aus Licht gewoben
Erstes Kapitel
D er Tag, an dem der Regen endlich kam, begann wie jeder andere. Glühende Luft überzog den Canyon, und eine schwere Stille lag über dem Land. Nachmittags schließlich war das Einzige, was noch erstickender schien als die Luft, der Staub, den unsere Füße aufwirbelten. Mucksmäuschenstill bewegten wir uns von Fels zu Felsspalte, immer nach Anzeichen von Bewegung Ausschau haltend. Doch nicht einmal ein Wüstenhase kam aus den Schatten hervor. In gewisser Weise waren wir dankbar, dass wir in Ruhe gelassen wurden, aber der Gedanke an das, was uns im Tal unten erwartete, war quälend: ein Dorf aus Holz- und Lehmhäusern und mit leeren Straßen, einzig erfüllt von dem Laut des quietschenden, leeren Eimers am Brunnen.
Meine Beine schmerzten vor Anstrengung, als ich mich im Schutz der vorstehenden Felsen zusammenkauerte. Der Staub unter meinen Fingern war unerträglich heiß, und meine Knie taten weh von den zahllosen kleinen Steinen, die sich in meine Haut gruben. Ich war fürchterlich schlecht bei diesem Spiel, war es als Kind schon gewesen und war es bis heute, Jahre später, als Henry entschieden hatte, ein Versteck-Spiel wäre die beste Methode, um auf seine kleinen Brüder aufzupassen.
Selbst bei all den Verstecken, die die Sasinou-Berge zu bieten hatten, schien es doch keins zu geben, das meine roten Haare hätte verbergen können, die in alle Richtungen von
meinem Kopf abstanden. Außerdem war ich auch nicht gerade die Anmut und Leichtfüßigkeit in Person.
Als Henry zu unserem Haus gekommen war und mich angebettelt hatte, mit ihnen in die Berge zu kommen, hatte meine Mutter uns voller Empörung angesehen. Wochenlang hatte sie den schwarzen Stoffstreifen wie eine Rüstung getragen, ihn jeden Morgen im Dunkeln erbittert um ihren Oberarm gebunden, seit Vater die Nachricht per Post erhalten hatte.
Mutter und die anderen Erwachsenen waren mit dem König aufgewachsen. Sie erinnerten sich daran, wie früh er den Thron bestiegen hatte, wie er die Truppen Austers jahrelang von unseren Küsten ferngehalten hatte, und sie waren voller Bewunderung gewesen für seine gerechte Herrschaft. Als der König vor drei Jahren die schöne junge Eglantine geheiratet hatte, war die Hochzeit im ganzen Land gefeiert worden. Für uns war er nur ein Gesicht auf einem Gemälde. Für unsere Eltern war er ein Held gewesen.
»Spielen gehen, ausgerechnet jetzt? Damit bringt ihr den Kleinen doch nur Respektlosigkeit bei«, hatte sie gesagt, während sie auf dem Küchentisch einen Klumpen Teig knetete. Ich griff nach dem silbernen Anhänger an meinem Hals und hielt den Mund.
»Der König wurde schon vor einem Monat begraben«, antwortete Henry sanft.
»Einen Monat und schon vergessen«, erwiderte sie. »Was soll nur aus uns werden, jetzt, wo der gute Alte fort ist. Die Königin ist viel zu jung, um zu regieren.«
Henry und ich wechselten einen Blick. Denselben Satz hatte jeder der Erwachsenen irgendwann geäußert. Mein Vater hatte in der Nacht, als er die schreckliche Nachricht erhielt, eine Dorfversammlung einberufen. Alle Eltern waren in die große Halle geströmt und hatten sich die ganze Nacht eingeschlossen,
fernab von neugierigen Kinderohren. Die Königin war für meine Eltern ein heikles Thema. »Zu jung«, erklärte meine Mutter. »Zu unerfahren«, ergänzte mein Vater. »Ihre Welt ist ihr Kleiderschrank.« All das stimmte; Eglantine war nur ein paar Jahre älter als ich. Sie hatte einen Mann geheiratet, der alt genug war, um ihr Vater zu sein, und beim Volk nur Hohn geerntet, als sie nicht in der Lage war, einen Thronerben hervorzubringen.
Am nächsten Morgen verließen alle die Versammlung mit demselben angespannten Gesichtsausdruck. Scheinbar war ein Pakt geschlossen worden, und wir wurden nicht eingeweiht. Doch wir wussten, dass ein einziger Brief geschafft hatte, was keine zehnjährige Dürre hatte bewirken können: Das Dorf war bis in seine Grundfesten erschüttert.
Damals waren Henry und ich uns noch sicher, dass die Erwachsenen sich nur Sorgen machten, Königin Eglantine könnte die Dörfer im Westen des Landes vernachlässigen. Der König hatte besonderes Interesse an der Region gezeigt und die besten Zauberer der Zauberergarde aufgeboten, um den Regen aus den Wolken zu locken. Als sich das als vergeblich erwies, hatte er einen friedlichen Wasserhandel zwischen uns und Saldorra, einem eigentlich feindlichen Nachbarland, vereinbart. Mit Wasser gemischt, konnte unsere gelbe Erde zur härtesten Keramik
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