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Am Hang

Am Hang

Titel: Am Hang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Werner
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Pfarrer, schwarze Hose, schwarze Jacke, ich hätte früher darauf kommen können. – Er aß langsam und in sich gekehrt, ich sprach ihn trotzdem wieder an. Heute, als ich im Stau am Gotthard stand, sagte ich, ist mir plötzlich eingefallen, daß ich vergessen habe, was Pfingsten bedeutet, ich meine, was an Pfingsten gefeiert wird, ist das nicht peinlich? – Er hörte auf zu kauen, schluckte dann und sagte: Über Staumeldungen freue ich mich stets besonders herzlich, an Pfingsten aber züngeln Flammen. – Er aß weiter, während ich, im Wissen, daß man auf Spinner eingehen muß, nach einer Pause fragte: Wo züngeln sie denn, die Flammen? – Er ließ sich Zeit, schenkte sich Wein nach, trank. Sie züngeln, sagte er dann, über den Häuptern der zwölf Apostel, und sie symbolisieren den Heiligen Geist, der fünfzig Tage nach Ostern über und in sie kommt, um sie im Wortsinn zu begeistern für ihr Wirken. – Alle Achtung, sagte ich, man könnte meinen, Sie seien Theologe. – So, sagte er, und jetzt revidieren Sie die Meinung und halten mich für keinen Spinner? – Ich erschrak. Ich fragte, wie er darauf komme. Die Augen, Herr Clarin, verraten vieles, sagte er, und manchmal kann ich einem Satz anhören, wie der Redende denkt, das geht recht mühelos, solange Blick und Ohr nicht abgerichtet sind aufs Nichtverweilen. – Ich wunderte mich, daß er sich meinen Namen hatte merken können, ihn sogar richtig, das heißt auf der zweiten Silbe betonte. Den seinigen auch endlich zu erfahren, hielt ich für angebracht. Er tat, als ich ihn danach fragte, als müsse er sich besinnen, dann sagte er: Loos, Loos mit zwei o, wir sitzen auf dem trockenen, ich bestelle noch einen, sind Sie dabei?
    Der Tisch wurde abgeräumt, der Merlot bianco gebracht, man hörte aus der Ferne ein Alphorn. Loos lauschte eher gequält. Ob es ihn nerve, fragte ich. Grundsätzlich, sagte er, habe er gegen das Alphorn als solches nichts, das Alphorn sei ja sozusagen das ideale Instrument für Zwerge, und zweitens liege es ihm fern, linkische Inbrunst zu tadeln, ihn störe lediglich die Einschleppung des Alphorns ins Tessin.
    – Auch mir genügten, sagte ich, die hiesigen und wunderbaren Glockenspiele. – Sie lieben sie auch, das freut mich, sagte er, sie sind ein Grund, warum ich hergekommen bin, wehmütigere Klänge sind nirgends sonst zu haben. – Ich fragte, ob er hier im Bellevue wohne. Ja, sagte Loos und schaute die Fassade hoch, dort oben, zuoberst links, dort ist mein Wachtturm, von dort kann ich hinübersehn, über die Bäume hinweg und über das Tal hinweg – und Sie, logieren Sie auch hier? – In Agra, sagte ich, ich habe in Agra ein kleines Ferienhaus. – Und da erholen Sie sich über Pfingsten von Ihren Strapazen als Anwalt?
    - Nicht eigentlich, sagte ich, es ist ein Arbeitsaufenthalt, ich will hier ungestört schreiben. – Ein nettes Hobby, sagte Loos, wird’s ein Roman? – Sie verstehen mich falsch, sagte ich, es geht um berufliche Arbeit, um einen rechtshistorischen Aufsatz für eine Juristen-Zeitung zum Thema Eherecht, vor allem Scheidungsrecht, ich habe viel damit zu tun in meiner Anwaltspraxis, und so ergab sich nebenbei auch ein geschichtliches Interesse an der Materie.
    Jetzt gehn die Lichter an dort drüben, sagte Loos. Ich schwieg und putzte verstimmt meine Brille. Rückschau ist immer gut, sagte er, wirklich, Rückschau ist wichtig, wenn auch nicht zeitgemäß, ich öffne den Mund ja kaum mehr, um Sätze zur Jetztzeit zu sagen, weil mir die Jetztzeit ja ständig das Wort abschneidet. Und wenn ich auch nur zu ihr sage: du hast eine Herkunft, und ich messe dich erstens an dieser und zweitens an jenen paar Träumchen, die ich mir nie habe austreiben lassen – dann ist sie schon beleidigt und fährt mir über den Mund. – Ich bin nicht sicher, ob ich Sie richtig verstehe, sagte ich, wollen Sie sagen, daß Menschen, die sich ganz dem Heute widmen, die, wie man sagt, mit der Zeit gehen, gereizt auf Kritik reagieren? – So ungefähr, sagte Loos, aber es ist noch zu früh. – Zu früh wofür? – Zu früh, um über den Zeitgeist zu reden und über das Gezücht der Anschmiegsamen, ich brauche vorher noch einige Gläser, und Sie können den Grad meiner Einschüchterung sowohl daran ermessen als auch daran, daß ich auf dieser schönen Terrasse, seit wir hier sitzen, kein einziges Mal die Stirn gerunzelt habe, obwohl doch während dieser Zeit, ich habe es gezählt, nicht weniger als vierzehnmal ein Handy piepste oder zirpte und

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