Am Hang
aus blauem Himmel treffe.
Loos kramte in seiner Jackentasche und holte ein kleines, schwarzes Spiralheft hervor und einen kleinen, schwarzen Bleistift. Er blätterte und suchte offenbar nach einer leeren Seite. Obwohl er sich bemühte, sein Heftchen mit der linken Hand ein wenig abzuschirmen, sah ich, daß es voll von Notizen und winzigen Skizzen war. Er notierte sich etwas, es konnte nicht mehr als ein Wort sein, und steckte das Heft wieder ein. Dann sagte er mehr zu sich selbst als zu mir: Es ist was dran, immer habe ich Angst gehabt, meine Frau zu verlieren, und eines Tages habe ich sie verloren, und trotzdem war’s ein Blitz aus blauem Himmel. – Das tut mir leid, sagte ich. Er nickte und trank. Nach einer Weile fragte ich, wann sie gestorben sei. Im Augenblick könne er darüber nicht sprechen, später vielleicht, sagte er, ich solle ein wenig von mir erzählen, zum Beispiel davon, ob mir mein Junggesellentum behage. Ich sagte, daß ich, wie schon erwähnt, kein Junggeselle wider Willen sei, mein Status sei gewollt und mir gemäß. Auf Unabhängigkeit und Selbstbestimmung zu verzichten, sei undenkbar für mich und um so weniger nötig, als man als Ungebundener die Freuden, die das Leben biete, viel unbekümmerter genießen könne. Den Vorwurf, ich scheute mich davor, Verantwortung zu übernehmen, müsse ich von mir weisen, schon darum, weil ihn stets jene erhöben, die unter ihr ächzten. – Sie stehen hier nicht vor Gericht, sagte Loos, aber erzählen Sie weiter. – Natürlich komme es manchmal zu Tränen, sagte ich, wenn ich einer Frau gegenüber, die mehr von mir erwarte, als ich investieren könne, ehrlich sei und ihr die Trennung nahelege, doch solche Tränen seien Petitessen verglichen mit jeder Art Ehe-Elend. Meistens sei ja die Sache auch bald verschmerzt, ich hätte mich zum Beispiel heute, auf dieser Terrasse, an eine Freundin erinnert, mit der ich hier vor längerem zum letzten Mal zusammengewesen sei, und auch für sie sei keine Welt eingestürzt. So sei es meistens: Die lockere Beziehung verhindere Tragödien und biete zudem Schutz vor einem traurigen und herkömmliche Paare selten verschonenden Schicksal. – Hier pausierte ich kurz, um einen Schluck zu trinken, und Loos, ganz bei der Sache, fragte: Nämlich? – Ich habe es schon angedeutet, sagte ich, ich rede von der ehelichen Stufenleiter, die vom Begehren über das Mögen über die liebe Gewohnheit über die Lustlosigkeit hinabführt bis zur Abneigung, womöglich bis zum Haß, und dann kommt die Stunde der diplomierten oder undiplomierten Berater, und vielleicht sorgt ein durchsichtiges Negligé oder ein verzweifelter Tanga für ein paar letzte Funken, und dann kommt die Stunde des Anwalts.
Warum so hitzig? fragte Loos, es behauptet ja niemand das Gegenteil. Die Ehe entspricht nur wenigen und überfordert die meisten, ich möchte Sie einzig bitten, das Wort investieren nicht zu verwenden, wenn Sie von Beziehungen reden, denn schauen Sie – hier zog Loos den Ärmel seiner Jacke ein wenig hoch und zeigte mir seinen Unterarm, auf dem ich ein paar rote Tüpfchen sah –, schauen Sie, ich bin allergisch. – Ich lachte, ich glaubte an einen Scherz, er aber blieb ernst und sagte, er lese oft und gern Kontaktanzeigen, weil er auf der Höhe der Zeit bleiben wolle, deren Beschaffenheit sich unter anderem ja auch in den Kontaktanzeigen widerspiegle. Da sei er neulich auf die Annonce eines Dreißigjährigen gestoßen, der sich selbst als weltkompatibel beschrieben habe und anschließend, unter dem Stichwort Anforderungsprofil, die benötigten Eigenschaften seiner Wunschpartnerin aufgezählt habe, worauf er, Loos, auf seinen linken Unterarm aufmerksam geworden sei, weil sich darauf innerhalb kürzester Zeit rote Punkte gebildet hätten. – Ich sagte, halb lachend, halb verstimmt, ich wolle mich bemühen, Rücksicht auf seine Allergie zu nehmen, auch wenn es mir ein wenig widerstrebe, jedes Wort auf die Goldwaage zu legen. – Nicht jedes, jedes nicht, sagte Loos, und eigentlich beneide ich Sie ja darum, daß Sie, was Ihre Gefühle betrifft, ein zaudernder Investor und Anleger sind, so bleiben Verluste verkraftbar. Andrerseits ist freilich zu bedenken, daß sich, je kleiner das Risiko ist, auch die Gewinnaussichten minimieren, denn was wirft ein Sparheft schon ab? Gerade so viel, daß es für ein paar Reisen von Zürich nach Oerlikon reicht, während sich doch, wenn man sein Kapital waghalsiger angelegt hätte, im Glücksfall so viel gewinnen
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