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Der Sohn des Sehers 02 - Lichtträger

Titel: Der Sohn des Sehers 02 - Lichtträger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Fink
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Prolog
    DER BOGEN WAR fast fertig. Tuge nahm ihn in seine kräftigen Hände und prüfte ihn erneut. Er begutachtete das Horn und lauschte auf das leise Knarren des Holzkerns. Es klang beinahe vollkommen, aber eben nur beinahe. Vorsichtig nahm er sein kleines Messer zur Hand und schabte etwas Horn vom Bogenbauch. Auf der anderen Seite des Feuers saß der junge Kolyn und sah ihm mit leuchtenden Augen zu. »Wenn es so kalt ist wie jetzt, musst du ihn warm halten, dann schöpfen seine Arme neue Kraft«, mahnte ihn Tuge mit strengem Blick. Kolyn nickte eifrig. Der Bogner seufzte. Vor zwei Jahren hatte er Holz und Horn für dieses Stück ausgesucht. Er hatte nur vom Allerbesten genommen, denn dieser Bogen hätte einmal seinem Sohn Tauru gehören sollen. Doch der war tot, gefallen und begraben in der Fremde.
    »Ist er jetzt fertig, Meister Tuge?«, fragte der Junge.
    Der Bogner schüttelte den Kopf. »Nicht so ungeduldig, junger Freund, aber ich glaube, wir können langsam daran denken, die Sehne aufzuziehen.«
    »Und dann ist er fertig?«
    Tuge lächelte. Seit Kolyn wusste, dass dieser Bogen für ihn bestimmt war, saß er jeden Tag in seinem Zelt. Der Bogner prüfte mit dem Daumen die Stelle, die er gerade bearbeitet hatte. Es fühlte sich gut an. »Er braucht noch seine Schutzschicht, weißt du das nicht?«
    »Dann morgen?«
    »Eine Woche, vielleicht zwei«, erklärte Tuge. »Es kommt
darauf an, wie er sich mit der Sehne macht.« Der Knabe erlebte gerade seinen elften Winter. Es zeigte, wie verzweifelt sie waren, dass sie Kolyn schon zum Jungkrieger beriefen und ihm einen Bogen anvertrauten, der eigentlich zu groß für ihn war. Tuge fuhr noch einmal mit der Hand über das glatte Horn. Tauru hätte der Bogen sicher gefallen.
    Das Zelt erzitterte unter einem Windstoß. Seit Tagen plagte sie ein eiskalter, namenloser Nordwind. Noch ein Grund, warum sich Kolyn lieber im warmen Zelt als draußen bei den Herden aufhielt. Sein Vater Meryak hatte nichts dagegen. Die Herden waren klein geworden, denn der Heredhan hatte ihnen die meisten Tiere genommen. Tuges Miene verdüsterte sich, als er daran dachte, mit welcher Selbstherrlichkeit Heredhan Horket in ihr Lager geritten war, geschützt von Dutzenden Kriegern, um eine Sühne einzufordern, die ihm der Klan angeblich schuldete. Es war gut, dass Yaman Aryak das nicht mehr erleben musste. Was hatte Horket ihnen gelassen? Zwei Dutzend Pferde und ebenso viele Schafe, eine Handvoll Trampeltiere und die Ziegen. Es reichte gerade zum Überleben - vielleicht. Der Winter konnte noch lang werden, und irgendwann würden die Wölfe kommen. Dann konnten sie einen weiteren Bogen gut gebrauchen, auch wenn er in der Hand eines Kindes lag. Die doppelte Lederhaut vor dem Eingang wurde zurückgeschlagen, und eine junge Frau steckte ihren Kopf herein. »Onkel Tuge, komm, sieh dir das an!«, forderte sie.
    Tuge runzelte die Stirn. Die Arbeit an einem Bogen war etwas Heiliges, er schätzte Störungen dieser Art nicht besonders. »Was gibt es denn, Wela, Tuwins Tochter, dass du mich von meiner Arbeit fort in diese böse Kälte hinauslocken willst?«, brummte er.
    »Sieh es dir an. Ich glaube, es gibt bald einen Sandsturm.«
    »Du musst dich irren, Nichte. Es ist tiefster Winter, und wir
sind weit von der Slahan entfernt. Ich glaube, selbst der wütende Nyet würde sich nicht so weit hinaus in die Steppe wagen.«
    »Dann komm und sieh!«, forderte Wela.
    Missmutig erhob sich der Bogner und trat vor das Zelt. Seine Nichte würde ohnehin keine Ruhe geben. Es war still. Der Nordwind schien sich gelegt zu haben. Tuge blickte in die Richtung, in die Wela wies. Tatsächlich, der Horizont zeigte sich gelb verfärbt, das untrügliche Zeichen für einen Sandsturm. Dennoch, es war unmöglich. Tuge sah sich um. Die Handvoll Rundzelte, die ihr Klan bewohnte, war halb eingegraben, weit über den Südhang eines Hügels verteilt. Kein Mensch war draußen. Nur die Ziegen drängten sich unruhig aneinander. Sie schienen den kommenden Sturm zu wittern. In der Ferne wieherte ein Pferd. Meryak war mit Malde und den Rössern in einem kleinen Tal, das Schutz vor dem eisigen Nordwind bot. Doch dieser schien jetzt eingeschlafen zu sein. Es war nahezu windstill. Ein weiterer Vorbote dieses seltsamen Sturms, der sich in der Ferne abzeichnete.
    »Was machst du überhaupt hier draußen, Wela?«, fragte Tuge.
    »Die Luft in den Zelten hat mir Kopfschmerzen verursacht, Onkel, die Luft, und das Geschwätz der Frauen. Aber es wird auch

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