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Am Hang

Am Hang

Titel: Am Hang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Werner
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Einbahnverkehr mit Zielort Hölle, denn beide Teile steigen auf und ab, sie kreuzen sich dabei und sitzen vielleicht dann und wann ein Weilchen auf der gleichen Sprosse, wenn möglich auf einer hohen, wo sie Vertrauen und Gefühle der Nähe erleben, was sie dazu befähigt, einander wieder fern zu sein, einander zuzuwinken auch über diverse Sprossen hinweg. Im Glücksfall dauert das dynamische Geschehen auf dieser Leiter lebenslang, und im Extremfall wird man sogar die Erfahrung machen, daß Haß nicht töten muß, im Gegenteil. Wie wäre es mit etwas Käse? Sind Sie dabei?
    Gern, sagte ich, aber was heißt im Gegenteil? – Loos klappte sein Heftchen zu und antwortete nicht. Er klappte es wieder auf, zeigte auf ein sehr einfach gezeichnetes Gebilde und fragte: Was ist das? – Es gleicht einer Acht, sagte ich, es könnte eine Sanduhr sein. – Er nickte. Es ist die Figur meiner Frau, sagte er und rief den Kellner. Nachdem er bestellt hatte, sagte ich, daß ich mit Glücks- und Extremfällen, wie er sie beschrieben habe, in meiner Anwaltspraxis nicht in Berührung käme und sie auch außerhalb davon nur selten ausmachen könne. – Könnten Sie es häufig, so wären es ja keine Glücksfälle, nicht wahr, ich habe etwas sagen wollen, was Sie nicht verstehen, nicht einmal ich verstehe es, nämlich es kann geschehen, daß man erst recht, vielleicht erst richtig lieben kann, was man gehaßt hat. – Das klang mir zu verstiegen, dazu fiel mir nichts ein, wir aßen den Käse stumm.
    Ich suchte nach einem Anknüpfungspunkt. Er zeichne also privatim, sagte ich, ob er mir auch verrate, was er beruflich mache. Er unterrichte tote Sprachen, sagte er, doch darum gehe es jetzt nicht. – Man schwieg erneut, und schließlich sagte ich, bevor er auf sein Zimmer gegangen sei, habe er den Ausdruck zu zahm gebraucht, und zwar verhältnismäßig laut, so daß er mir im Ohr geblieben sei. Ob er mir Stimmt, unterbrach mich Loos, man ißt und trinkt und scheidet aus, läßt fünf gerade sein und zuckt die Achsel. Ich müßte mich, meinem vorgerückten Alter und dem damit verbundenen Zucken zum Trotz, wieder weit intensiver, schärfer, schneidender mit Zeit und Welt befassen und jeder Regung von Mildheit mißtrauen. Wer soll noch wittern, was vorgeht, wenn die Jungen vor lauter fahriger Betriebsamkeit, das heißt vor Apathie verblöden und die Alten vor lauter Nachsicht? Kurzum, ich habe mir verbissen in den Kopf gesetzt, nicht stumpf und zahm zu werden, wobei ich allerdings einräumen muß, daß mein Verzicht auf Resignation nicht sachlich begründet ist, sondern nur hygienisch, ich meine seelenhygienisch, verstehen Sie? – Nicht sehr, sagte ich, und Loos erklärte, der Sachverhalt sei simpel. Wenn sein Verzicht auf Resignation sachlich begründet wäre, so würde das bedeuten, daß er den Irrsinn, der alles und alle durchwirke, für reversibel und kurierbar halte, daß er, anders gesagt, an Rettung glaube, was ungefähr so albern wäre wie die Hoffnung, aus einer Jauchengrube könnten plötzlich Jasmindüfte steigen. Wenn er nun schon nichts ändern könne am Gestank, so wolle er ihn wenigstens beim Namen nennen und ihm gleichsam mit offenen Nüstern begegnen, das sei er seiner Seele schuldig. Sie, seine Seele, empfinde Ohnmacht zwar als Kränkung, als Schlimmeres aber, nämlich als Schande empfände sie es, wenn er die Fenster schließen würde, pfeifend auf Zeit und Welt.
    Loos trank, ich staunte, wie viel er vertrug. Er redete beherrscht, stieß kaum je an und saß wie ein Fels. Allerdings schwitzte er ziemlich und fuhr sich von Zeit zu Zeit mit dem Taschentuch über die schimmernde Glatze. – Sie hassen die Welt, nicht wahr? fragte ich ihn, und ohne das geringste Zögern sagte er: Von ganzem Herzen. – Dann bin ich beruhigt, sagte ich und brachte ihn damit ein wenig aus der Fassung. Er kratzte sich im Nacken. Er suchte in allen Taschen nach seinem Feuerzeug, das vor ihm lag. Wissen Sie, sagte ich, es hat mir neulich jemand erklärt, daß Haß eine Vorbedingung der Liebe sein könne. – Loos lief rot an, und als ich schon befürchtete, er greife nach dem Käsemesser, lachte er kurz auf und dann, um Kontrolle bemüht, glucksend in sich hinein. Sein Lachen erleichterte mich und löste die Verkrampfung, in die sein steinerner Ernst mich hatte geraten lassen. Ich traute mich jetzt auch, ein bißchen forscher aufzutreten. Ob es sein könnte, fragte ich, daß er einer jener geknickten Idealisten sei, die es in seiner Generation

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