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Am Hang

Am Hang

Titel: Am Hang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Werner
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was Loos so hätte kränken können, daß er es vorzog, mich nicht mehr zu sehn. Es fiel mir nichts ein. Zwar hatte es Differenzen gegeben, das aber war kein Grund, verletzt zu sein, schon gar kein Grund zur Entzweiung. Wahrscheinlicher schien mir, daß Loos, ähnlich wie ich, am Morgen einfach Überdruß empfunden hatte, daß er allein sein wollte, still sein wollte, sich irgendwo verkrochen hatte, um ungestört an seine tote Frau zu denken. Möglich schien aber auch, daß er aus Scham, gemischt mit Unmut, vor mir geflohen war. Es kommt ja vor, daß sich ein Mensch, der sich jemandem anvertraut und preisgegeben hat, nachträglich schämt und dem ins Vertrauen Gezogenen gegenüber Aversionsgefühle empfindet. Mitwisser mag man nicht immer und verübelt es ihnen mitunter, daß man sich quasi entblößt hat vor ihnen. – Und somit war das erste Faktum befriedigend erklärt. Mehr Kopfzerbrechen machte mir das zweite. Was konnte Loos dazu veranlaßt haben, sich unter falschem Namen einzutragen? Ich suchte zuerst nach harmlosen Gründen. Vielleicht war diese Art der Maskerade ein bloßer Spleen. Vielleicht fand er es lustig und erleichternd, den wahren Namen abzulegen und wenigstens für ein paar Tage inkognito zu sein. Nachfühlen konnte ich das nicht, was freilich noch nichts heißt; es gibt genug Verschrobenheiten, in die ich mich schwer hineindenken kann. Und doch fiel es mir leichter, an diese Deutung zu glauben als an die abenteuerlichere, die Loos als Verfolgten und polizeilich Gesuchten sah, womöglich als entwichenen Sträfling, der innerlich dazu getrieben wurde, die Nähe des Tatorts zu suchen, die Nähe des Orts, wo seine Frau, auf welche Art auch immer, jedoch durch sein Dazutun, zu Tode gekommen war. Befallen von nie gekannter Nervosität, lief ich in Wohnung und Garten herum. Auf einmal blieb ich stehen. Auf einmal fiel mir ein: Loos hatte ja vor einem Jahr für ein paar Tage im Bellevue gewohnt.
    Und also kannte man ihn schon, man hatte den markanten Mann mit Sicherheit noch nicht vergessen und wohl auch seinen Namen nicht. Wie also hätte Loos es wagen können, sich unter einem anderen, falschen einzutragen? Dies schien mir ausgeschlossen. Wenn ich es aber ausschloß, blieb mir nur eine Folgerung. Sie ließ mich erstarren. Ich, ich also war der Getäuschte. Mir gegenüber hatte sich dieser Mensch als Loos ausgegeben, im Gästebuch hingegen stand aller Wahrscheinlichkeit nach sein wirklicher Name. Ich legte mich aufs Sofa, stand aber, da ich im Liegen schlecht denken kann, nach wenigen Minuten wieder auf. Ich überlegte, warum mich die Sache so umtrieb. Obwohl man von Betrug und Irreführung sprechen konnte, empfand ich kein Gefühl moralischer Entrüstung. Ich kenne es ohnehin kaum. Auch konnte es mir eigentlich egal sein, ob Loos nun Meier oder Müller hieß, ein falsches Etikett verändert das Etikettierte ja nicht. Enttäuscht war ich trotzdem, und es war unausweichlich, daß ich mich fragen mußte: Was darf ich einem Menschen glauben, der unter falschem Namen Kontakt mit mir aufnimmt und zwei Abende lang mit mir redet? Muß dieser Etikettenschwindel nicht den Argwohn wecken, er habe mir noch andere Märchen erzählt? – Dies schloß ich aus, weil es dafür nicht den geringsten Grund gab. Einzig an seinem Bericht über den Tod seiner Frau ließ sich zweifeln, nur dann allerdings, wenn man ihm eine Schuld oder Mitschuld an diesem Tod unterstellte. Sonst schien mir alles, was ich von Loos vernommen hatte – ich bleibe bis auf weiteres bei diesem Namen –, glaubhaft. Was hätte er davon gehabt, Erfundenes als Wahrheit auszugeben?
    Ich grübelte noch eine Weile weiter, bis ich kapitulieren mußte, bis ich mir eingestehen mußte, daß ich auf die zentrale Frage keine Antwort fand. Wenn es denn zutraf, daß Loos in Wirklichkeit nicht Loos hieß: Aus welchem Grund hat er sich dann dem völlig Fremden, Unbekannten, der ich für ihn doch war, mit einem falschen Namen vorgestellt? Eine simple und spleenige Laune als Erklärung dafür gelten zu lassen, gelang mir jetzt nicht mehr, mein Gefühl sprach dagegen. Mein Gefühl sprach dafür, daß Loos Loos hieß. Was hätte ein Deckname decken sollen? Kein Einfall erleuchtete mich, und eine wachsende Innenspannung, eine kaum noch erträgliche Unruhe tilgten den Rest meiner Denkkraft.
    Ich griff zur Axt. Ich hackte Holz wie ein Verrückter, bis ich schweißnaß und ruhiger war. Dann duschte ich mich nochmals kalt, zog mich frisch an und setzte mich ins Auto. Wie

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