Am Hang
ferngesteuert, fast ohne mein Dazutun, fuhr es nach Cademario.
Ich stellte mich an die Hotelbar. Ich trank, da mein Magen verkrampft war, einen doppelten Fernet. In diesem Kurhaus, sagte ich mir, hat das Entscheidende sich abgespielt. Wo, wenn nicht hier, erfahre ich die Wahrheit. Nur, was geht sie mich eigentlich an? Was kümmert sie mich, der ich nie neugierig war? Warum, zum Teufel, soll ich es nicht schaffen, die Angelegenheit, die nichts mit mir zu tun hat, energisch ad acta zu legen? Ich brauchte mir nur einen Ruck zu geben, ich müßte mich nur rational entscheiden, den Kasus fahrenzulassen, und wäre wieder frei. – Ich gab mir einen Ruck, trank aus und zahlte und steuerte dem Ausgang zu. Es zog mich kurz davor nach links zur Rezeption. Ich fragte, ob Eva, eine Atemtherapeutin – ihr Nachname war mir entfallen –, noch hier im Kurhaus tätig sei, ich sei ein Bekannter von ihr und würde sie gern schnell sehn. Man fragte mich nach meinem Namen, ich nannte ihn samt Titel und durfte sofort erfahren, daß Eva Nirak, da ja Pfingsten sei, frei habe, sich aber im Haus aufhalte, vermutlich in ihrem Zimmer. In der großen Empfangshalle wartete ich und nahm mir vor, nicht mit der Tür ins Haus zu fallen. Es sollte nicht so aussehn, als sei ich nur gekommen, um sie zu fragen, ob sich vor Jahresfrist im Kurhaushallenbad ein tödlicher Unfall ereignet habe. Ich wollte eine Weile mit ihr plaudern und meine Frage irgendwann wie nebenbei einflechten. Sie war bestimmt im Bild, sie gehörte ja zur Belegschaft. Daß sie vor einem Jahr, anläßlich unseres Schäferstündchens, nicht über den Vorfall geredet hatte, besagte schon darum nichts, weil wir an jenem Nachmittag naturgemäß nur wenig miteinander sprachen.
Ich erkannte Eva kaum wieder, als ich sie kommen sah. Ihr offenes und platinblondes Haar war jetzt kastanienbraun und hochgesteckt. Sie wirkte streng, fast bieder, ihr graues Hosenkleid verstärkte diesen Eindruck. Die Augen kühl, die ungeschminkten Lippen ohne Lächeln, ein schwacher Händedruck: Ich war ihr offensichtlich nicht willkommen.
Sie fragte mich, bevor ich etwas sagen konnte: Kommst du wegen ihr oder wegen mir? – Ich weiß nicht, was du meinst, sagte ich. – Du bist zu spät, sagte sie, sie ist vor einer Stunde abgereist. – Wer denn, um Himmels willen? – Verstell dich nicht, du hast doch irgendwie herausgefunden, daß Valerie die Pfingsten hier verbringt. Sie ist jetzt weg, ich glaube kaum, daß ihr der Sinn nach einem Wiedersehen mit dir steht, laß sie in Ruhe! – Eva, ich hatte keine Ahnung, daß Valerie hier war, ich weiß ja nicht einmal, wo sie jetzt lebt, seit einem Jahr, seit unserer Trennung, habe ich nichts mehr von ihr gehört. – Dann bist du also meinetwegen hier, wie schmeichelhaft. Setzen wir uns.
Mit leichtem Schwindelgefühl folgte ich ihr auf die Aussichtsterrasse. Ich bestellte noch einen Fernet, Eva ein Glas Rotwein. – Warum ist Valerie hergekommen? fragte ich sie. – Um mich zu besuchen natürlich, antwortete Eva. – Ihr habt also noch Kontakt, erstaunlich, sagte ich. – Sie ist meine Freundin. – Immerhin bist du damals …, du weißt schon, hast du es ihr erzählt? – Es gibt Dinge, sagte Eva, die zu belanglos sind, als daß man sie erzählen müßte. – Danke, sagte ich. – Was nicht bedeutet, fuhr sie fort, daß ich mich damals, im nachhinein zumindest, nicht über mich gewundert hätte. Daß ich so sein kann, hat mich erschreckt. – Wir haben uns halt angezogen, sagte ich, das kann passieren, sei nicht so streng. Hat Valerie dir eigentlich von unserer Trennung erzählt, ich meine damals schon? – Ja, das hat sie, am gleichen Tag, an dem ich bei dir war. Aus welchem Grund hast du mir nichts davon gesagt? – Wahrscheinlich habe ich gedacht, es törne dich besonders an, einen liierten Mann zu verführen. – So ein toller Hecht wie du, sagte Eva, macht unsereinen immer heiß, ob er liiert ist oder nicht. – Es wirkt auf mich ein wenig seltsam, den Hecht, auf den man abgefahren ist, nachträglich verspottet zu sehn, ich kann mir deine Aggressivität nicht recht erklären. – Sie hat mit unserem Techtelmechtel nichts zu tun, sagte Eva, eher mit Valerie. – Du müßtest schon deutlicher werden, sagte ich, hat sie schlecht über mich geredet? – Hast du sie je schlecht reden hören über andere Menschen? – Eigentlich nicht, sagte ich. – Geschützt hat sie dich, sie hat die Schuld an ihrem Elend sich allein gegeben. – Elend! Ich bitte dich, wir haben
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