Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition)
Buch
Es ist eine Welt für sich: das Jungeninternat Collegium Gregorianum Kahlenbeck, irgendwo am Niederrhein. Während Wettrüsten und Umweltzerstörung die Welt Anfang der achtziger Jahre an den Rand des Abgrunds zu bringen drohen, während ringsum mit neuen Beziehungsmustern und Lebensformen experimentiert wird und die fraglose Autorität von Religion, Kirche und tradierten Moralvorstellungen zu bröckeln beginnt, scheint hinter den Mauern von Kahlenbeck die Zeit sillzustehen. Hier herrschen katholische Sittenstrenge und christliche Weltverachtung, prägen tägliche Gottesdienste und Verbote den Alltag.
Gleichwohl sind die Umbrüche der Zeit auch in Kahlenbeck zu spüren. Im Aufflackern jugendlicher Rebellion etwa, vor dem der Präses des Collegiums nicht müde wird zu warnen. Oder in der Vehemenz, mit der liberale Erzieher von restaurativen Kräften bekämpft werden, wenn sie vermeintlich »moderne« Ideen verbreiten. Es ist, als ob der Konflikt zwischen Tradition und Moderne, zwischen Spiritualität und Weltlichkeit untergründig das gesamte Internatsleben durchdringt und es zu sprengen droht.
Einer, der diesen Konflikt am eigenen Körper und in der eigenen Seele erfährt, ist der Schüler Carl Pacher. Wie kaum ein anderer ist er hin- und hergerissen zwischen dem Heiligen und dem Profanen, ist zutiefst verunsichert, was gottgefällig und was des Teufels ist. Denn Carl will mit aller Macht glauben; er sucht inständig nach dem rechten Weg zu Gott. Aber zugleich sehnt er sich auch nach dem wirklichen Leben, und das verträgt sich häufig nicht mit dem, was die Frömmigkeit gebietet. Die Versuchungen der Pubertät, das Verlangen nach echter menschlicher Nähe und Liebe entfalten ihre eigene Kraft, gegen die Vorsätze und Gebete machtlos sind. Glück und Verzweiflung liegen so nahe beieinander, daß es manchmal zum Heulen ist. Oder vielleicht auch einfach nur zum Lachen.
Sowohl tiefgründig als auch provokant, sowohl komisch als auch radikal, ist »Wir in Kahlenbeck« ein Pubertäts- und Internatsroman, wie man ihn lange nicht gelesen hat: ein kompromissloses Buch über Religion und Spiritualität, über das Fegefeuer der Pubertät und die Fallgruben der Liebe. Wie Christoph Peters diese Themen und Motive miteinander verknüpft, das ist zuweilen betörend, zuweilen verstörend, immer aber höchste erzählerische Kunst.
Autor
Christoph Peters wurde 1966 in Kalkar geboren. Er besuchte selbst ein katholisches Internat und ist Autor von bislang fünf Romanen sowie mehrerer Erzählungsbände. Für seine Bücher wurde er vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem aspekte-Literaturpreis. Christoph Peters lebt heute in Berlin.
»Christoph Peters ist ein eminent kluger und genauer Erzähler,
ein ausgezeichneter Architekt lebensechter Atmosphäre,
und die Klaviatur der Töne beherrscht er auch virtuos:
Ironie, Leichtigkeit und Witz, Poesie, Lakonie und tiefen Ernst.«
(Elmar Krekeler, Die Welt)
1. Auflage
Copyright © 2012 Luchterhand Literaturverlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Satz: Uhl + Massopust, Aalen
Umschlaggestaltung: RME, Rosemarie Kreuzer / Ruth
Botzenhardt unter Verwendung eines Photos von
© thomasmayerarchive.de
ISBN 978-3-641-09040-1
www.luchterhand-literaturverlag.de
Einige Altväter sagten: Wenn du einen Jüngling siehst , der mit seinem Eigenwillen zum Himmel hinaufsteigt , dann halte seinen Fuß und ziehe ihn auf die Erde , denn das andere nützt ihm nichts.
Apophthegmata Patrum
Das Schlimmste im Leben des Menschen ist die Pubertät.
Helge Schneider
Prolog. Advent in Henneward
»An jenem Tag wächst aus dem Baumstumpf Isaias ein Reis hervor , ein junger Trieb aus seinen Wurzeln bringt Frucht.«
Das Winterdunkel draußen hat die Farben der Bleiglasfenster geschluckt. In den hoch aufragenden Spitzbögen grüngraue Felder , von flachen Wülsten eingefaßt. Schraffuren liegen schwarz auf , Liniennetze , die keine Szenen werden. Gerade noch zu erahnen , wenn man weiß , daß sie dort sind: Vater , Sohn , Heiliger Geist. Der allmächtige Weltenschöpfer krönt den Erlösersohn ; der Erlösersohn hält sein Kreuz im Arm wie einen Freund ; die Taube im Strahlenkranz. Unten Engelscharen , vielköpfig , geflügelt , singend , im Gebet. Das Reich , die Kraft , die Herrlichkeit. Keine Furcht soll über euch kommen.
So stellt es sich sonntags dar , über Weihrauch , der zum Thron des Höchsten emporsteigt , Glanz wie am ersten Morgen eines neuen Himmels , einer neuen Erde. Dahinter
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