Am Horizont die Freiheit
immer wieder.
»Ich bedauere das sehr«, erklärte der Eremit von Sankt Sebastian den Leuten, die sich auf dem kleinen Friedhof versammelt hatten. »Ich konnte euch nicht eher warnen. Ich habe diese Galeere gesehen, die sich auf die Bucht zubewegte, nachdem ich die Morgengebete gesprochen hatte. Ich kann mir nicht denken, wann und wo die gelandet sind, die sich am Berghang versteckt und euch aufgelauert haben. Ich bedauere das sehr, verzeiht mir bitte.«
Die Versammelten ließen ein entschuldigendes Flüstern vernehmen. Der Hinterhalt hatte sie alle überrascht. Der Administrator von Palafrugell nahm nicht an der Beerdigung teil, daher leitete der Eremit die Beisetzung. Den gemurmelten Gebeten gesellte sich das tieftraurige, in langen Abständen erklingende Totengeläut der Glocke in der Einsiedelei hinzu, und ihm schloss sich wie ein fernes und gewichtigeres Echo das Geläut der Kirche von Palafrugell an. Es war ein unfreundlicher, windiger Tag mit hohen Wolken, und die Möwen flogen kreischend über den Friedhof hinweg. Joan sah zu, wie Erde auf das weiße Leichentuch seines Vaters fiel, der dort unten in diesem Loch lag. Er dachte, ihm wäre es sicher lieber gewesen, bei einem Sturm im Meer zu ertrinken, damit sein Körper ans Ufer gelangte, von den Wellen gewiegt, zwischen unzugänglichen Felsen, wie die Leiber der toten Möwen. Er wollte frei sein wie sie, und er starb als freier Mann. Solange er am Leben war, war auch seine Familie frei gewesen. Nun musste Joan seinen Platz einnehmen. Aber wie sollte er das tun, wenn er kaum in der Lage war, die Azcona ein paar Schritte weit zu werfen?
Als die Zeremonie zu Ende war, ging Tomás zu den Kindern.
»Euer Vater war wie ein Bruder für mich.« Seine Augen hatten sich mit Tränen gefüllt. »Und ich weiß, dass du, Joan, meine Tochter geliebt hast. Ich habe keine Tochter und keine Frau mehr. Ihr habt keinen Vater und keine Mutter mehr. Lasst mich euer Onkel sein, denn niemals könnte ich Ramón ersetzen. Kommt mit mir, ich kümmere mich um euch.«
»Danke, Tomás«, antwortete Joan, sobald er begriffen hatte, was der Mann zu ihnen sagte.
Tomás umarmte die beiden. Er glich nicht seinem Vater, dachte Joan. Er war größer und sehniger. Dort, wo bei Ramón die geschmeidige Festigkeit der Muskeln gewesen war, waren Knochen und Sehnen bei Tomás. Sein Angebot erleichterte Joan, doch seine hoffnungslosen Worte gefielen ihm nicht.
»Die Frauen kommen zurück. Wir haben noch Mutter und Schwester, und du hast Elisenda und Marta«, sagte er zu ihm, als sie sich trennten. »Wir holen sie zurück, nicht wahr, Tomás?«
Der andere schüttelte den Kopf.
»Sie kommen zurück!«, stieß Joan fast schreiend hervor.
Der Mann musterte ihn mit seinen blauen Augen, schluckte und sagte nichts.
Dann gingen sie zurück zum Dorf, wo Bruder Dionís eine Totenmesse zelebrieren sollte, bei der man auch für die Gefangenen und Verwundeten beten würde.
»Es war Gottes Wille«, verkündete dieser in seiner Predigt von der Kanzel der überfüllten Kirche herab. »Befolgen wir getreulich die Gebote der heiligen Mutter Kirche, damit sich solch ein Übel nicht wiederholt.«
Er redete voller Leidenschaft und gestikulierte energisch. Joan, der neben Tomás saß, stellte fest, wie sich dieser verkrampfte, als er das hörte.
»Diese Heimsuchungen sind die Frucht unserer Sünden. Und Sklaverei, Hunger und Tod sind die Strafen, die uns der Herr auferlegt. Befolgen wir Sein Gesetz, und Er wird uns retten.«
»Retten?«, schrie Tomás.
Der Administrator verstummte vor Überraschung. Niemand unterbrach eine Predigt. Es herrschte absolute Stille. Joan wagte nicht einmal zu atmen.
»Der Überfall der Piraten soll eine Strafe Gottes für unsere Sünden sein? Ihr hier seid davongekommen, weil Euch die Mauern und die Soldaten geschützt haben! Nicht wegen Eurer Tugend.«
Joan dachte, dass er recht hatte.
»Was für eine Sünde hat meine Tochter begangen, dass sie die Sklaverei verdient hat? Was für eine meine Frau?« Er stand auf und trat nach vorne, um den Geistlichen vom Fuß der Kanzel aus zu schmähen. »Wenn sie jetzt Sklavinnen sind, so wegen Eurer Feigheit, nicht wegen ihrer Sünden. Warum habt Ihr nicht erlaubt, dass die Bürgerwehr die Piraten angriff? Feigling!« Und er stürmte die Treppe hinauf.
»Rühr mich nicht an!«, brüllte der Geistliche. »Du wirst für immer in der Hölle schmoren!«
Die Frauen kreischten, und Joan glaubte schon, dass Tomás den anderen über das
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