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Am Strand

Am Strand

Titel: Am Strand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian McEwan
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siebziger Jahre wurde er dann Miteigentümer des Plattenladens. Um Zeitungen zu lesen, war er viel zu beschäftigt; außerdem war er eine Weile der Meinung, man könne der bürgerlichen Presse sowieso nicht trauen, da sie, wie jedermann wußte, vom Staat, dem Militär und von der Hochfinanz kontrolliert wurde - eine Ansicht, die er später revidierte. Doch selbst wenn Edward in jenen Tagen Zeitung gelesen hätte, wären die Feuilletonseiten mit ihren ausführlichen, tiefsinnigen Konzertbesprechungen wohl kaum von ihm aufgeschlagen worden. Er verlor das gerade erst aufgekeimte Interesse für klassische Musik wieder vollständig zugunsten seiner Begeisterung für Rock ‘n’ Roll. Deshalb hörte er auch nichts vom triumphalen Debüt des Ennismore-Quartetts in der Wigmore Hall im Juli 1968. Der

Kritiker der Times begrüßte das »frische Blut in der Musikszene« und lobte das »tiefe Verständnis, die verhaltene Intensität, die Prägnanz des Vortrags«, die »eine erstaunliche musikalische Reife der nicht einmal dreißigjährigen Musiker« verrate. »Mit meisterhafter Mühelosigkeit beherrschen sie die gesamte Palette der harmonischen und dynamischen Effekte und auch jene dichte Kontrapunktik, die für Mozarts Spätstil so typisch ist. Noch nie wurde sein D-Dur-Quintett so einfühlsam gespielt.« Am Ende der Besprechung hob er besonders die erste Geige hervor. »Darauf folgte ein schmerzlich expressives Adagio von vollendeter Schönheit und spiritueller Kraft. Mit ihrer einfühlsamen Zärtlichkeit und der lyrischen Feinheit ihrer Phrasierung spielte Miss Ponting, falls ich es einmal so formulieren darf, wie eine Frau, die nicht nur in Mozart und die Musik, sondern in das Leben selbst verliebt ist.«
    Selbst wenn Edward die Besprechung unter die Augen gekommen wäre, hätte er nicht wissen können - dies konnte niemand außer Florence -, daß in dem Augenblick, als die Scheinwerfer im Saal wieder angingen und die jungen Musiker sich wie betäubt erhoben, um den überwältigenden Applaus entgegenzunehmen, der Blick der ersten Geigerin unwillkürlich in die Mitte der dritten Reihe wan-derte, zu Platz 9c.
    Wann immer Edward in späteren Jahren an Florence dachte, in Gedanken mit ihr redete, sich vorstellte, ihr zu schreiben oder ihr auf der Straße zufällig zu begegnen, war ihm, als würde er kaum eine Minute brauchen, kaum eine halbe Seite, um sein Leben zusammenzufassen. Was war aus ihm geworden? Er hatte sich treiben lassen, wie im Halbschlaf, achtlos, kinderlos, ohne jeden Ernst und Ehrgeiz, doch nicht ohne Komfort. Seine bescheidenen Errungenschaften waren zumeist materieller Natur. Er besaß eine winzige Wohnung in Camden Town, war Miteigentümer eines Ferienhauses mit zwei Schlafzimmern in der Auvergne, und ihm gehörten zwei Spezialplattenläden für Jazz und Rock ‘n’ Roll, ziemlich wacklige Unternehmen, die nach und nach vom Internetshopping verdrängt wurden. Er hoffte, seinen Freunden ein guter Freund zu sein, und hatte auch einige phantastische, wilde Jahre erlebt, vor allem in der ersten Zeit. Er war Pate von fünf Kindern, doch begann er für sie erst wichtig zu werden, als sie bereits aus dem Teenageralter heraus waren.
    1976 starb Edwards Mutter, und vier Jahre später zog er wieder nach Hause, um seinen Vater zu pflegen, der an einer rasch fortschreitenden Parkinson-Krankheit litt. Harriet und Anne waren verheiratet und lebten mit ihren Kindern im Ausland.
    Edward, mittlerweile vierzig, hatte eine gescheiterte Ehe hinter sich. Dreimal in der Woche fuhr er nach London und kümmerte sich um seine Geschäfte. Sein Vater starb 1983 zu Hause und wurde auf dem Friedhof von Pishill neben seiner Frau begraben. Edward blieb als Mieter im Elternhaus, das inzwischen in den Besitz seiner Schwestern übergegangen war. Anfänglich nutzte er es von Camden Town aus als ruhigen Zufluchtsort, doch Anfang der neunziger Jahre zog er ganz um und lebte dort allein. Rein äußerlich hatte sich Turville Heath, zumindest der Winkel, in dem er wohnte, seit seiner Jugend kaum verändert. Statt Landarbeiter und Handwerker waren seine Nachbarn jetzt Pendler oder Besitzer von Wochenendhäusern, doch schienen sie durchweg angenehme Menschen zu sein. Edward hätte sich selbst nie unglücklich genannt -zu seinem Londoner Freundeskreis gehörte eine Frau, die er sehr gern hatte; bis weit über fünfzig war er aktiv im Kricketklub von Turville Park, engagierte sich im historischen Verein von Henley und beteiligte sich an der

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