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Am Strand

Am Strand

Titel: Am Strand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian McEwan
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zeichneten sich die Umrisse seiner Schultern vor einem silbernen Wasserstreifen ab, einer Strömung, die sich weit hinter ihm im Meer abzeichnete. Gleich darauf vernahm sie das Geräusch seiner Schritte auf dem Kies, und das hieß, er könnte auch ihre hören. Er mußte gewußt haben, wo sie zu finden war, weil sie nach dem Essen doch hierher hatten kommen wollen, um mit einer Flasche Wein in der Hand über die berühmte Kiesbank zu spazieren. Sie hatten unterwegs Steine sammeln und der Größe nach vergleichen wollen, um festzustellen, ob die Stürme tatsächlich Ordnung am Strand geschaffen hatten.
    Der Gedanke an entgangene Freuden bedrückte sie allerdings kaum, da er gleich darauf von einer Idee verdrängt wurde, einer halbfertigen Überlegung vom frühen Abend. Sich zu lieben und miteinander frei zu sein. Dieses Argument könnte sie anführen, ein mutiger Vorschlag, dachte sie, aber für jemand anders, für Edward, hörte es sich bestimmt lächerlich an, idiotisch, womöglich gar verletzend. Nie wußte sie das Ausmaß ihrer eigenen Unwissenheit genau einzuschätzen, obwohl sie doch in einigen Dingen recht klug zu sein meinte. Sie brauchte mehr Zeit. Aber in wenigen Sekunden würde er bei ihr sein, und das schreckliche Gespräch mußte beginnen. Eine weitere Schwäche von ihr war, daß sie nicht wußte, welche Haltung sie einnehmen sollte, daß sie nichts fühlte außer der Angst vor dem, was er sagen mochte und welche Antworten von ihr erwartet werden würden. Sie wußte nicht, ob sie um Verzeihung bitten oder eine Entschuldigung erwarten sollte. Sie liebte ihn nicht, sie haßte ihn auch nicht - sie fühlte gar nichts. Sie wollte einfach nur allein hier in der Dämmerung am Stamm des riesigen Baumes lehnen.
    Er schien eine Art Paket in der Hand zu halten und blieb gut eine Zimmerbreite vor ihr stehen. Das allein fand sie schon dermaßen unfreundlich, daß sie spürte, wie sich Trotz in ihr regte. Warum war er ihr bloß so bald gefolgt?
    Und tatsächlich klang er ziemlich gereizt. »Da bist du also.«
    Sie brachte es nicht über sich, auf eine derart dämliche Bemerkung zu antworten.
    »Mußtest du denn wirklich so weit laufen?«
    »Ja.«
    »Sind anderthalb Kilometer bis zum Hotel.«
    Die Härte in ihrer Stimme überraschte sie selbst: »Mir egal, wie weit es ist. Ich mußte an die frische Luft.«
    Er entgegnete nichts. Der Kies knirschte unter seinen Schuhen, wenn er das Gewicht verlagerte. Sie sah jetzt, daß er seine Jacke mitgebracht hatte. Am Strand war es schwül und warm, wärmer als tagsüber, und es störte sie, daß er gemeint hatte, die Jacke mitbringen zu müssen. Wenigstens trug er nicht auch noch seinen Schlips! Meine Güte, wie gereizt sie plötzlich war, dabei hatte sie sich vor wenigen Augenblicken noch so geschämt. Normalerweise wäre ihr daran gelegen, daß er eine gute Meinung von ihr hatte, aber das war ihr jetzt egal.
    Er setzte an, ihr etwas zu sagen, und kam einen Schritt näher. »Hör mal, das ist lächerlich. Es war unfair von dir, einfach wegzulaufen.« »War es das?«
    »Es war sogar verdammt unangenehm.«
    »Ach ja? Was du getan hast, war auch verdammt unangenehm.«
    »Soll heißen?«
    Sie hatte bei ihrer Frage die Augen geschlossen gehalten. »Du weißt genau, was ich meine.«
    Mit der Erinnerung an ihren Teil des Gesprächs würde sie sich bestimmt noch lange quälen, aber jetzt setzte sie nach: »Es war absolut widerlich.«
    Sie meinte ihn aufstöhnen zu hören, als wäre ihm ein Schlag gegen die Brust versetzt worden. Hätte das Schweigen, das daraufhin einsetzte, nur wenige Sekunden länger gedauert, hätte ihr schlechtes Gewissen vermutlich Zeit genug gehabt, sich gegen sie aufzulehnen, so daß ihre Antwort vielleicht weniger unfreundlich ausgefallen wäre.
    Aber Edward holte schon zum nächsten Tiefschlag aus: »Du hast nicht die leiseste Ahnung davon, was es heißt, mit einem Mann zusammenzusein. Sonst wäre das nie passiert. Du hast mich auch nie an dich rangelassen. Keinen blassen Dunst hast du von dem Ganzen, stimmt’s? Du führst dich auf, als schrieben wir das Jahr acbtzehnhundertzwei- undsechzig. Du weißt ja noch nicht mal, wie man richtig küßt.«
    Kühl gab sie zurück: »Wenn hier einer versagt hat, dann doch wohl nicht ich.« Das war es gar nicht, was sie sagen wollte, eine solche Grausamkeit war ihr fremd. Sie war nur die zweite Geige, die der ersten antwortete, parierte nur automatisch seine unvermuteten, gezielten Angriffe, wehrte sich gegen die Verachtung,

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