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Ambra

Ambra

Titel: Ambra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabrina Janesch
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Militärjacke und den Regentropfen auf seiner Glatze, der war bestimmt Kampfhundzüchter oder Boxer oder was weiß ich, und das Feenwesen neben ihm musste einem Märchen entflattert sein, mit seinen hüftlangen Haaren, die sich im Wind kräuselten, den mandelförmigen Augen und dem merkwürdigen Umhang, den es sich übergeworfen hatte. Beide starrten mich an, und als sie sich nicht rührten – nur der Hund war vom Boden aufgestanden und hatte seinen Schwanz aufgestellt –, nahm ich meinen Koffer und ging zu ihnen.
    Hallo, sagte ich und streckte die Hand aus, ich bin Kinga Mischa.
    Statt meine Hand zu nehmen, kraulte der Typ lieber seinen Hund, und als er sich wieder aufrichtete, sagte er laut und deutlich
Heil Hitler!
    Was für ein Trottel, dachte ich, und die Frau neben ihm stieß ihn in die Rippen, aber der lachte bloß undsagte, dass das ein Witz gewesen sei, sein Deutsch sei halt, na ja, bruchstückhaft, das da sei übrigens Renia, und er sei Bartosz Mysza.
    Ohne meine Antwort abzuwarten, packte er meinen Koffer und ging los. Renia blieb einen Moment länger stehen als er, deutete kurz auf seinen Rücken und zeigte ihm einen Vogel. Ich nickte, als ob ich verstehen würde, aber natürlich verstand ich überhaupt nichts. Bartosz rief etwas vom Vorplatz des Bahnhofs herüber. Wir schlossen zu ihm auf und ich
     
    sah hoch am Himmel einen Geier kreisen, daran erinnere ich mich, und hätte der Beschuss nicht angedauert, ich schwöre, ich hätte das Vieh abgeknallt, weil es mich wahnsinnig machte, wie es da oben schwebte und geduldig kreiste, als würde es tatsächlich davon ausgehen, dass, wenn alles vorbei war, man Jarzèbiński einfach im Wüstensand liegen lassen würde.
    Verdammt, Mysza, schrie Socha zu mir herüber, aber ich reagierte nicht, denn als ich endlich den Blick von dem Geier lösen konnte, sah ich nur Jarzèbińskis Blut, das im Sand versickerte und ihn erst rot, dann schwarz färbte, verdammt, Mysza, hörte ich Socha noch mal schreien, und da ging ich in Deckung, keine Sekunde zu früh, denn kaum hatte ich mich hinter den Dzik gehockt, neben den linken Hinterreifen, peitschte eine Kugel an meiner Schulter vorbei, ein kühler Lufthauch, weiter nichts, dass sie mich verletzt hatte, merkte ich erst, als der Sanitäter kam und ich ihm half, den Jarzèbiński in seinen Sack zu legen, mit allem, was von ihm übrig war. Der ganze Ärmel war vollgesogen mit meinem Blut, als ich es sah, wurde mir schwarz vor Augen, aber Gott sei Dank kauerte ich da gerade neben
Jarzèbińskis Körper, das fehlte noch, dass jemand rumerzählte, der Mysza kann kein Blut sehen. Nicht, dass das jemanden interessiert hätte, in dem Moment interessierte nur das eine, aber ich stand total neben mir und hatte noch immer nicht ganz begriffen, was geschehen war. Jarzèbińskis Körper war ganz warm, und abgesehen davon, dass er keinen Puls mehr hatte und seine rechte Schädelhälfte fehlte, hätte man denken können, es gehe ihm verhältnismäßig gut, aber wie gesagt: Konnte man ja auf einen Blick erkennen, dass die Kugel dem sofort das Lichtlein ausgeblasen hatte, sogar der Sanitäter musste schlucken. Mir war das im nächsten Moment schon so was von egal, ich hatte noch immer den Geier im Blick, aber jetzt noch schießen, das kam nicht in Frage, eine solche Aktion, und du kommst sofort zur Psychotante, dass wir sowieso alle zu der kamen, das wusste ich ja damals noch nicht.
    In zwei Wochen hätte Jarzèbiński nach Hause zurückkehren sollen, zwei Wochen noch, das ist eigentlich nichts. Jarzèbiński hatte jedenfalls kein Wort darüber verloren, dass er sich freute, heimzukehren, so wie er es früher immer getan hatte, es war doch kein Tag vergangen, an dem er nicht alle mit seiner Geschäftsidee für die Zeit nach dem Militär genervt hätte, eine Pfandleihe, wir alle konnten es schon nicht mehr hören.
    Halt’s Maul, Alter! – Sogar Socha ging es auf den Senkel, wenn Jarzèbiński davon anfing und alle eigentlich bloß ihre Fertiglasagne in sich reinschaufeln wollten und ihr Bier trinken, von Zukunft wollte keiner was wissen, und von der Gegenwart erst recht nicht.
    Als ich nach dem Einsatz wieder halbwegs zu mir kam, hatten alle so viele Fragen, und ich wusste keine Antworten, und ich glaube, das hat es am Anfang noch
viel schlimmer gemacht, aber in meinem Kopf waren vor allem der Geier und die Schüsse von den Mistkerlen in der Ruine. Vor mir sehe ich ein paar Strähnen von Jarzèbińskis weizenblondem Haar, die unter dem

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