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Ambra

Ambra

Titel: Ambra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabrina Janesch
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funktionierte nicht, und so hielt ich mich am Hund fest, der vor Wohlbehagen laut aufgrunzte.
    Ich will euch kennenlernen, mehr nicht. Mein Vater ist vor kurzem gestorben, ich bin alleine. War für mich eine Offenbarung, noch irgendwo Familie zu haben.
    Da war er einen Moment lang still, Renia sagte, dass es ihr leid tue, das mit meinem Vater, und zumindest sie wisse genau, wie das sei, wenn man plötzlich alleine dastehe, vielleicht hätte sie es genauso gemacht wie ich,nein, ganz bestimmt sogar. Sie hielt sich am Sitz fest, das sah ich, ihre Knöchel traten weiß hervor. Als Bartosz beinahe einen Mopedfahrer gestreift hätte, fragte sie, wo zur Hölle er überhaupt hinfahren würde, das sei nicht der Weg nach Hause, und er antwortete: Wir fahren ja auch nicht nach Hause.
    Der Mazda hielt schließlich vor ein paar geduckten Häusern. Der Himmel hatte sich mittlerweile völlig verdunkelt, aber das war nicht die Dämmerung, das waren Gewitterwolken. Unterwegs hatte ich Schilder gesehen, die zum Hafenviertel wiesen, da befanden wir uns anscheinend. Menschen standen auf der Straße, aber ich konnte nicht erkennen, was sie trieben.
    Das ist doch total gestört, sagte Renia, komm, wir fahren nach Hause, was soll denn das?
    Nein. Bartosz stieg aus und öffnete meine Tür, zögerlich folgte ich ihm. Es donnerte. Bevor Bartosz den Hund anleinen konnte, jaulte der auf, rannte über den Parkplatz und durch einen Vorgarten davon. Renia stieg auch aus und schüttelte den Kopf, Bartosz legte die Leine auf das Autodach. Ich drehte mich einmal um die eigene Achse: weitläufige, asphaltierte Fläche, eine Anlegestelle, dahinter das Meer. Im Haus, vor dem wir parkten, brannte Licht. Ein paar fadenscheinige Gardinen hingen vor den Fenstern, Polstermöbel, Jesusbilder und verdorrte Aloen waren durch das Glas zu erkennen. Neben dem Haus befand sich eine Art Rotunde, die aus Garagen bestand, ein paar Männer hatten sich da gesammelt, Flaschen klirrten.
    Bartosz deutete mit dem Kinn auf die Männer und sagte, dass ich mich früh genug in der Schönheit der Stadt suhlen würde, in der Gefälligkeit der Fassaden. Aber bevor ich all das genießen und denken würde, dassei die Stadt, solle ich die Wirklichkeit sehen, wie sie ist, in diesem Land. Kinga, sagte er, dieses Land hat mehr zu tun mit traurigen alten Männern in grauen Windjacken als mit Zierde und Dekoration und teuren Cafés, merk dir das. Er spuckte aus. Wie auf Kommando kam der Hund zurückgelaufen und schnupperte kurz an seinem Speichel.
    Ich wollte ihm sofort widersprechen, ihn fragen, ob er seinem Land nicht Unrecht tue, wenn er es auf ein Häuflein Armut und Tristesse reduzierte, aber Renia schüttelte den Kopf, als ich den Mund aufmachte. Bartosz hatte sich ein paar Meter von uns entfernt, und da flüsterte sie, dass sie mir später erzählen würde, was es mit meinem werten Anverwandten auf sich habe, für den Moment aber solle ich es gut sein lassen. Man komme ja doch nicht gegen ihn an.
    Ich wollte gähnen, wurde aber von einem Blitz unterbrochen, der über den Himmel zuckte, und keine zwei Sekunden später krachte es, als habe es irgendwo in unserer Nähe eingeschlagen. Ich schloss meine Augen. Bartosz hatte sich richtig in Rage geredet, und fast bereute ich es, seine Sprache zu beherrschen. Meine Ankunft war ihm ein Geschenk: einer Deutschen mal reinen Wein einzuschenken, was für eine Gelegenheit – wahrscheinlich hatte er Gott auf Knien dafür gedankt. Beinahe hatte ich gehofft, dass er mich einfach vor dem nächstbesten Hotel absetzen würde, es war klar, dass ich nicht erwünscht war. Endlos naiv kam ich mir plötzlich vor, einfach davon ausgegangen zu sein, dass man sich freuen würde, mich zu sehen, barocke Gastfreundlichkeit und polnische Würste und Kuchen und all das, aber wenn es nicht so sein sollte, dann eben nicht. Verloren hatte ich nichts.
    Kommt überhaupt nicht in Frage, sagte Renia. Natürlich wirst du bei dir zu Hause übernachten.
    Das hatte sie wirklich so gesagt: bei dir zu Hause. Sie habe doch extra schon das Zimmer hergerichtet, ihre Mitbewohnerin würde sich auch schon auf den Besuch freuen, und was sei das überhaupt für eine Art: seinen Gast zu verstoßen? Übrigens sollte man jetzt wirklich losfahren, andernfalls würde einen die nächste Böe bis hinüber nach Dänemark tragen.
    Gäste lade man ein,
bevor
sie kommen, sagte Bartosz müde, sie tauchten nicht plötzlich auf und stellten alles auf den Kopf. Da konnte ich mich nicht mehr

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