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Ambra

Ambra

Titel: Ambra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabrina Janesch
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beherrschen und sagte, dass das mit Sicherheit das letzte Mal gewesen sei, dass ich ihn belästigt hätte, übrigens hätte ich mir auch ein Taxi nehmen können, wenn es ihm unangenehm sei, neue Familienmitglieder kennenzulernen.
    Die Fahrt zurück verlief schweigsam. Der Regen trommelte auf das Dach, ich schlief mehrmals kurz ein, dazwischen dachte ich an Emmerich und dass es vielleicht gar nicht so verwunderlich war, dass er nie zurückgekommen war, zu dieser, unserer, Familie. Nein, ihn, Emmerich, hatten schon die Ausflüge nach Hamburg so sehr aufgeregt, dass er Herzrasen bekam. Was regelmäßige Besuche in der Stadt am Meer aus ihm gemacht hätten: nicht auszudenken. Das dachte ich wirklich: Wenn schon ein verhältnismäßig junger Mensch wie Bartosz mit der Situation nicht umgehen konnte, wie würden bloß die Älteren reagieren? Wahrscheinlich würde ich mich nur mit Polizeischutz unter ihnen bewegen können.
    Nach einer Weile wurde die Bebauung enger. Hinter einer Regenwand sah ich den Bahnhof vorbeiziehen,und schließlich erkannte ich die Türme der Stadt, zu finden auf Seite drei, fünf und zwanzig bis fünfundzwanzig in Emmerichs bebildertem Atlas. Schlaftrunken, wie ich war, kam es mir nicht kitschig vor zu denken, dass mich wenigstens die Stadt empfangen hatte wie ein verlorenes Schäfchen, das endlich in den Heimatstall zurückkehrte. Vielleicht würde ich hier eine Art Wärme und Geborgenheit finden, die alles in den Schatten stellte, was ich vorher gekannt hatte, anfänglicher Unmut hin oder her.
    Kurz vor einem Kreisel – ich rieb mir die Augen, wollte wach sein, wenn wir ankamen – sprang eine durchnässte korpulente Frau auf die Fahrbahn und hob die Arme, an denen jeweils mindestens drei prallgefüllte Tüten baumelten. Bartosz machte eine Vollbremsung und kam ein paar Meter vor ihr zu stehen. Mutter!, rief er und klang dabei so fassungslos, als wäre ihm der Leibhaftige erschienen. Blitzschnell drehte er sich um, zog die Hundedecke aus dem Fußraum hervor und warf sie über mich: Schnell, duck dich, sie darf dich auf keinen Fall sehen.
    Bevor ich mich wehren konnte, drückte Bartosz meinen Kopf nach unten, ich hörte Renias Lachen, keine Ahnung, warum ich mich fügte, wahrscheinlich weil ich so überrascht war. Keine Sekunde später fuhr Bartosz an den Seitenstreifen – durch das graue Gewebe der Decke hatte ich eine ungefähre Sicht auf die Dinge da draußen –, und öffnete seine Tür. Regen wehte herein, aber seine Mutter war schneller als er, hatte schon längst die hintere Tür aufgerissen und ließ sich mit einem tiefen Seufzer neben den Hund fallen. Verwirrt sah der zu seiner Decke, unter der er seine neue Freundin wähnte, dann wieder zu den Tüten, aus denen es verdächtig nachFleisch und Wurst roch, dann schob sich Bartosz ins Bild. Schnell verteilte er noch ein paar Zeitschriften und leere Dosen über mir, die er aus dem Fußraum seiner Mutter klaubte.
    Dir hätte etwas passieren können! Was
machst
du hier?
    Papperlapapp, sagte die Frau. Ich kann auf mich alleine aufpassen. Um diese Uhrzeit gibt es die billigsten Würste, vom Gemüse ganz zu schweigen. Wer rechnet denn schon damit, dass der eigene Sohn wie ein Verrückter um die Kurve prescht! Noch dazu bei diesem Wetterchen. Guten Tag, Frau Renia, fügte sie hinzu, sofort klang ihre Stimme etwas kühler, ach, sind Sie auch da. Was macht ihr eigentlich hier?
    Als sie schließlich einen Moment zu lange schwieg, wusste ich, dass sie hinter den Sitzen meine Tasche gesehen hatte.
    Also gut, sagte sie, was für ein Spielchen wird hier gespielt?

2.
    Ich muss für einen Moment eingeschlafen sein. Als ich die Augen wieder öffne, lehnt in der Ecke ein Gewehr. Dass es ein Maschinengewehr ist, kann ich nur vermuten, mit Waffen kenne ich mich nicht aus und fürchte mich vor ihnen. Aber ein Jagdgewehr wird es wohl kaum sein, in dieser Familie gibt es keine Jäger. Also doch ein Maschinengewehr, und obwohl mich sein Anblick beunruhigt, bin ich ein wenig enttäuscht. Vom Fenster fallen Lichtreflexe auf den Lauf und auf die Schulterstütze, alles in allem wirkt es kaum wie ein Gerät, mit dem man Dutzende von Menschen binnen Sekunden umbringen kann.
    Weil ich es nicht nachprüfen kann, muss ich davon ausgehen, dass es nicht geladen ist; die Vermutung, dass es geladen sein könnte, macht mich noch nervöser, als ich ohnehin schon bin. Bronka wird das Ding in einem günstigen Augenblick hereingeschmuggelt haben, ich frage mich, was sie sich davon

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