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Ambra

Ambra

Titel: Ambra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabrina Janesch
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Emmerich es ihr beigebracht hatte: Bernstein, Brennstein, alles muss versteckt sein! Eins, zwei, drei, vier, fünf …
    Eines Tages aber fand der Alte unter einem der Tapeziertische seine Tochter, wie sie die Hände von Beata hielt, der Tochter Przybyllas, und wie sie ihr verschämt einen Kuss auf den Mund drückte.
    Die nächsten Wochen wurden sehr einsam für Kinga Mischa. Sicher war es keine Lösung, ihr jeglichen Umgang mit Mädchen zu verbieten; aber es war die einzige Idee, auf die Emmerich Mischa gekommen war.
     
    Mit der Zeit verdrängte er, was er gesehen hatte, und Vater und Tochter fanden wieder zusammen. Jeden Abend, wenn der Alte seinen Tee ausgetrunken hatte, den Kandiszucker mit einem Löffel aus der Tasse herausgekratzt und sich in den Mund gesteckt hatte, bat Kinga Emmerich darum, den Bernstein hervorzuholen.
    Er ist alles, was wir aus der Stadt retten konnten, hatte der Alte einmal gesagt. Kinga war er als der wichtigste Beweis dafür erschienen, dass sie hier nur zufällig war, gestrandet, und dass es anderswo einen Ort geben müsse, der freundlich war und von einem inneren Leuchten, genauso wie jenes, das von dem Stein ausging.
    Lange ließ sich der Alte für gewöhnlich nie bitten, und wenn Kinga im Wohnzimmer das Licht der Stehlampe aufdrehte und die Motten erschrocken von den meterbreiten Fensterbänken aufflatterten, holte er den Stein aus seinem Hemd und legte ihn zwischen Kinga und sich auf den wurmstichigen Weichholztisch.
    Das ist er, sagte Emmerich, schau, er begleitet die Mischas von Anfang an. Vor Jahrhunderten waren Steine wie dieser mehr wert als Gold. Ein geheimnisvoller Stoff: gelbe Ambra, die nur an Meeresstränden gefunden wurde. Lange Zeit wusste kein Mensch, worum es sich eigentlich handelte. Alles, was man wusste, war, dass es sich elektrisch aufladen konnte und gut roch, wenn man es verbrannte. Siehst du die Spinne? Sie hat sich alles gemerkt, alles, was jemals um sie herum geschehen ist.
    An dieser Stelle widersprach Kinga, denn wie konnte man sich denn alles merken, was um einen herum geschah. Der alte Mischa lenkte ein und sagte, dass sie sich nur die speziellen Dinge merkte, und eines Tages würde sie, Kinga, schon dahinterkommen, was das sei: die speziellen Dinge. Dann steckte er den Bernstein zurück insein Hemd, und Kinga wusste, dass es Zeit war, ins Bett zu gehen, hinauf in ihr klammes Zimmer, das nur über eine kleine Elektroheizung verfügte und über eine Familie hungriger Holzwürmer, die die heranwachsende Kinga mit ihren Mahl- und Schabgeräuschen in den Schlaf wiegten.
     
    Am Abend, als Kinga die letzte Prüfung ihres Studiums der Kunstgeschichte und der Philosophie in einer nahen Großstadt abgelegt hatte, lag auf dem Wohnzimmertisch der Bernstein.
    Kinga wohnte noch immer bei ihrem betagten Vater, der sich kaum mehr selber versorgen konnte. Die Ameisen, die er zeit seines Lebens erfolgreich aus dem Haus hatte fernhalten können, begannen, sich wieder Einlass zu verschaffen, bildeten Straßen, auf denen sie die Krümel und Kandisbröckchen des Alten abtransportierten, ganze Schuhe klauten oder sie zu ihrem angestammten Wohnsitz erklärten. Kinga bemerkte einen Igel, der aus einem Berg achtlos ineinander geworfener Zeitungen und Zeitschriften herausschaute und ihren Blick zwinkernd erwiderte. Sie seufzte und griff nach dem Schmuckstück, das ihr Vater anscheinend auf dem Tisch vergessen hatte. Wie sehr sie die eingeschlossene Spinne als Kind fasziniert hatte! Wer einen solchen Anhänger besaß, hatte sie gedacht, benötigte keine Krone mehr. Kinga lächelte kaum merklich, nahm ihn an sich und ging hinüber zum Zimmer ihres Vaters, die Tür war angelehnt, dahinter war leise Musik zu hören, Smetana, dachte Kinga, die Moldau, und klopfte an, bevor sie eintrat.
    Der Alte saß in seinem Ohrensessel. Vor ihm, auf der Fensterbank, kauerte eine Maus und putzte ihr Gesicht.Ein Speichelfaden hing Emmerich Mischas Kinn hinab, die Zunge lag zwischen die Lippen geschoben da, er bewegte sich nicht. Sie erschrak so sehr, dass sie für einen kurzen Moment ein hohes Sirren hörte. Sie stürzte zum Sessel und packte ihren Vater bei den Schultern. Mit einem lauten
Was?
schreckte der Alte auf. Kinga zitterte, aus ihrer linken Hand baumelte der Bernstein, wie ein Pendel bewegte er sich über das Gesicht des Alten. Er starrte ihn an und fuhr sich über den Mund, der Speichelfaden versickerte im Stoff seiner Baumwollstrickjacke.
    Ist doch alles gut, alles gut, sagte der Alte, und

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