Amelia Peabody 14: Die goldene Göttin
vergewissert hatte, dass der Mann allein war, dann trat er aus der Dunkelheit.
»Hat man dir denn nicht beigebracht, dass du dich unter gar keinen Umständen zur Zielscheibe machen darfst?«, kritisierte Ramses.
»Da du es warst –«
»Du hast erwartet, dass ich es bin. Zieh diese Uniform aus und das hier an.«
Er schminkte Chetwode Gesicht, Hals, Hände und Unterarme mit der dunklen Farbe und stopfte dessen Haare unter den Turban. An den blauen Augen, die ihn so vertrauensselig anschauten, ließ sich nun einmal nichts ändern, und als der Junge wie ein Honigkuchenpferd grinste, waren seine gesunden weißen Zähne ein weiterer Grund, ihn daran zu erinnern, dass er den Mund halten sollte. Geduldig ging Ramses noch einmal alles durch.
»Wenn dich jemand anspricht, dann giggelst du und brabbelst und nickst heftig mit dem Kopf. Idioten stehen unter Allahs Schutz. Bleib dicht bei mir …« Er zögerte, übermannt von einer jener hanebüchenen Vorahnungen – vielleicht war sie das auch nicht, unter den gegebenen Umständen. »Bleib in meiner Nähe, bis du etwas anderes von mir hörst. Wenn ich sage, du sollst rennen, dann tu es, ohne jeden Einwand und Hals über Kopf. Das ist ein Befehl. Wenn du ihn verweigerst, sorge ich dafür, dass man dich vor ein Kriegsgericht stellt.«
»Aber wenn wir getrennt werden –«
»Ich werde dich schon finden. Wenn nicht, musst du dich allein zurück zu unseren Gefechtslinien durchschlagen. Warte nicht auf mich und such mich um Himmels willen nicht.«
Chetwodes Gesicht las sich wie ein Buch. Einige Sätze besagten: »Man verlässt einen Kameraden nicht.«
»Du kannst auf mich zählen, alter Junge, bis in den Tod.« Oder etwas ähnlich Triviales. Ramses seufzte und griff ein weiteres Klischee auf. »Einer von uns muss den Rückweg schaffen, mit den gesammelten Informationen. Wir wissen, dass wir unser Leben in die Waagschale werfen; das ist Teil unserer Mission.«
Chetwodes fest zusammengepresste Lippen teilten sich. »Oh. Ja, das stimmt. Du kannst auf mich zählen, alter Junge –«
»Gut. Noch eins. Gib mir die Pistole.«
Ramses hatte sich fest vorgenommen, ihn zu durchsuchen, falls er den Besitz einer Waffe leugnete, doch der jugendliche Wirrkopf versuchte es nicht einmal. Seine Hand schoss zu seiner Taille.
»Was ist, wenn wir schießen müssen?«, fragte er.
»Sollte es so weit kommen, werden Hunderte Männer zurückschießen. Gib sie mir, sonst lasse ich dich hier.«
Chetwode sah von seinem entschlossenen Gesicht zu den geballten Fäusten und begriff. Widerstrebend löste er den Gewehrgürtel unter seinem Hemd und reichte diesen Ramses.
Ramses entfernte die Munition und legte die geleerte Waffe zu dem Kleiderstapel, den er mit einigen Steinen bedeckte. »Und jetzt halt den Mund und pass auf, wo du hintrittst.«
Der Junge wollte den Mund nicht halten. Er wiederholte die Richtungsdaten, die Ramses ignoriert hatte, da er sie nicht brauchte, und führte einen kurzatmigen, geraunten Monolog: »In Richtung Norden halten, bis zur Moschee, Peilung 132, Position 266 befindet sich am Rande eines Sumpfgebiets … ist das hier … Oh, Mist.«
Ramses zerrte ihn heraus. »Noch ein Wort und ich stoße dich wieder in den Morast. Wir sind kaum dreißig Meter von den türkischen Schützengräben entfernt. Und jetzt halt endlich die Klappe.«
»Tut mir echt Leid.« Er schwieg und nickte heftig. In seinen Augen spiegelte sich das Sternenlicht.
Ramses führte sie am Rand des Sumpfes entlang. Der Junge folgte ihm so dicht, dass er ihm in die Hacken trat. Ich hätte dies nicht billigen dürfen, dachte Ramses in stillem Zorn. Zum Teufel mit Murray und Cartright und allen anderen; der Junge gibt sein Bestes, aber ich würde ihn auf eine Meile erkennen, selbst wenn er sich nicht rührte und den Mund hielte. Es war diese Herren-der-Schöpfung-Attitüde – Schultern straff und Kinn hoch –, auf die sie von Kindheit an gedrillt wurden und die sich kaum noch ausmerzen ließ.
Die Türken hatten die Stadt mit Schützengräben und Brustwehren umfriedet. Ein weit verzweigtes Netzwerk aus Kaktushecken bot zusätzlichen Schutz. Die Bergkämme, die von Gaza ostwärts nach Beersheba führten, standen ebenfalls unter Bewachung, doch sie hatten keinerlei Probleme, diese zu durchqueren. Die Verteidiger wussten, dass kein Angriff bevorstand; Aufklärungsflugzeuge hätten sie vor solchen Vorhaben gewarnt, selbst wenn sie nicht ihre emsigen kleinen Spione gehabt hätten. Das Gebiet zwischen Gaza und Khan
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